Noch ein Kuss
Augen und atmete tief durch. Wie konnte die Bestätigung von etwas, das sie längst wusste, so wehtun? Sie schob die Ärmel ihres übergroßen Bademantels hoch. »Das ist immerhin etwas.«
»Was?«
»Dass du mich wenigstens diesmal nicht anlügst.«
Mike fasste sie am Arm und drehte sie zu sich herum. Dann sah er ihr tief in die Augen. »Ich habe dich nicht angelogen.«
Seine warmen Hände brannten sich in ihre Haut und machten es ihr schwer, sich zu konzentrieren. »Wie würdest du es denn nennen?«, fragte sie. »Ein kleines Versäumnis?«
»Genau.« Mit einem Stöhnen ließ er sie wieder los. »Versetz dich doch mal in meine Lage. Wo stehst du dann?«
In der Mitte, gab sie insgeheim zu.
»Ich habe das Einzige getan, was ich tun konnte. Ich habe dich mit der Nase auf die Dinge gestoßen, die du bereits wusstest, und gehofft, dass du die richtige Entscheidung triffst.«
»Und wenn ich das nicht getan hätte?«
Mike machte ein schuldbewusstes Gesicht. »So weit habe ich nicht gedacht. Ich glaube, ich hatte Vertrauen in dich. Und außerdem … Ich konnte mich nicht dazu aufraffen, derjenige zu sein, der dir wehtut.«
»Dazu kam, dass du deinen Bruder nicht verraten wolltest.« Eine Träne rann über Carlys Wange. Sie wischte sie mit dem Handrücken fort.
»Das auch.«
Mit zitternder Hand führte Carly das Glas an ihre Lippen. »Wo hast du das Zeug gefunden?« Sie benutzte das Büfett nur, wenn sie zum Essen einlud oder Freunde zu Besuch hatte. Jedenfalls war Brandy normalerweise kein fester Bestandteil ihrer Hausbar. Sie unterdrückte ein Kichern. Sie hatte nicht mal eine Bar.
»Ich habe deine Küchenschränke durchwühlt und es geschafft, etwas zutage zu fördern, das brauchbar ist. Trink aus. Das sollte dir helfen dich zu entspannen.«
Carly nahm einen Schluck. Die dunkle Flüssigkeit brannte in der Kehle, doch irgendwie wirkte sie beruhigend. Carly durchquerte das Zimmer, starrte durchs Fenster auf die Straße hinab und versuchte, ihre Wut auf Mike zu schüren. Es musste sein. Ohne diese Wut hatte sie niemanden, auf den sie ihren Zorn abladen konnte. Er war also zwischen ihr und seinem Bruder hin- und hergerissen gewesen. Hatte sich gefragt, ob er zu Pete halten sollte, seinem einzigen Verwandten, oder zu einer Frau, die er gerade erst kennengelernt hatte. Keine besonders schwere Entscheidung, dachte sie verbittert.
Mike kam zu ihr herüber und legte eine Hand auf ihren Arm. »Verstehst du, was ich gesagt habe?« Sein durchdringender Blick verfehlte seine Wirkung nicht und ließ ihr Herz schneller schlagen.
Voller Angst, dass sie ihn nur gut verstand, wich sie vor ihm zurück und blieb, um Abstand bemüht, mitten im Zimmer stehen.
Kapitel 6
Mike beobachtete Carly bei ihrem Rückzug. Irgendwie wirkte sie zu gefasst für eine Frau, die nicht nur gerade ihre Verlobung gelöst, sondern dabei auch noch erfahren hatte, dass ihr Verlobter untreu gewesen war. Nun stellte sie ihr Glas auf dem Holzboden ab und konzentrierte ihre Aufmerksamkeit auf einen weißen Weidenkorb, der mit Zeitschriften vollgestopft war. Dann kniete sie sich auf zwei große, gelb umrandete Wurfkissen, die davor lagen.
Ohne auf seinen fragenden Blick zu achten, begann sie, den Berg Zeitschriften zu durchwühlen und zu sortieren. Auf diese Weise bildete sich neben ihr bald ein großer Stapel. Ob sie sich auf diese Aufgabe stürzte, um ihn ignorieren zu können, oder ob sie nach etwas suchte, konnte Mike nicht genau sagen. Der Zweck ihres Tuns erschloss sich ihm nicht, doch sie schien die Ablenkung nötig zu haben.
Während des Sortierens öffnete sich ihr Bademantel ein wenig und gewährte ihm einen kurzen Blick auf ihr Dekolleté und die pralle Rundung einer Brust. Mike holte tief Luft, brachte es aber nicht über sich wegzusehen. Hastig veränderte er seine Stellung und setzte sich auf die Couch, denn wenn Carly aufgeschaut hätte, wäre sie bestimmt vor ihm weggelaufen. Die Jogginghose, die sie ihm geliehen hatte, war selbst unter normalen Umständen viel zu eng. Und das, was sich augenblicklich bei ihm tat, war alles andere als normal.
Wieder schaute er zu ihr hinüber. »Was machst du … «
»Hier. Ich hab’s.« Carly stand auf und riss eine Seite aus der Zeitschrift, die sie gesucht hatte. »Wusstest du, dass es so etwas wie eine Hochzeitsversicherung gibt? Eine Rückversicherung für den Fall, dass eine Hochzeit aus unvorhersehbaren Gründen abgesagt wird. Mal sehen.« Sie überflog den Artikel in ihrer Hand.
Mike kniff
Weitere Kostenlose Bücher