Nora Roberts
tröstlichem Herzschlag unter ihrem Ohr. »Vor der Messe anläßlich der Beerdigung meiner Mutter hat sich der Priester zu mir gesetzt. Er war sehr freundlich und mitfühlend, denn es war erst wenige Monate her, seit mein Vater begraben worden war. Aber trotzdem hat er dieselben Floskeln verwendet wie jeder andere – vom ewigen Leben, von der Gnade Gottes und vom himmlischen Lohn, den meine Eltern dafür bekämen, daß sie ergebene Katholiken und gute Menschen gewesen waren.«
Sie preßte ihren Kopf ein letztes Mal gegen seine Brust, und dann trat sie einen Schritt zurück. »Es sollte mich trösten, und vielleicht hat es das auch ein wenig getan. Aber was du gesagt hast, war ein viel größerer Trost.«
»Der Glaube ist eine Art Erinnerung, Shannon. Du mußt deine Erinnerungen hüten wie einen Schatz, statt daß du dich von ihnen verletzen läßt.« Er strich ihr mit dem Daumen eine Träne aus dem Gesicht. »Geht es dir jetzt wieder besser? Ich bleibe gern noch ein bißchen bei dir, wenn du willst, oder ich hole Brie.«
»Nein, alles in Ordnung. Vielen Dank.«
Er hob ihr Kinn und küßte ihre Stirn. »Dann setz dich und trink deinen Tee. Und denk nicht eher wieder an New York, als bis du soweit bist.«
»Das ist ein guter Rat.« Als sie schniefte, zog er ein Tuch aus der Tasche und reichte es ihr.
»Putz dir erst einmal die Nase.«
Lachend gehorchte sie. »Ich bin froh, daß du vorbeigekommen bist. Und bleib ja nicht noch einmal so lange fort.«
»Ich bin immer in deiner Nähe, falls du mich brauchst.« Da er wußte, daß sie Zeit für sich brauchte, nahm er seine Mütze vom Haken und wandte sich zum Gehen. »Wirst du bald mal wieder auf die Felder gehen? Ich sehe es gern, wenn du dort in der Sonne stehst und malst.«
»Ja, ich werde bald wieder auf die Felder gehen. Murphy ...« Sie verstummte, da sie nicht wußte, wie sie die Frage formulieren sollte und warum sie ihr mit einem Mal so wichtig erschien. »Schon gut.«
Er stand bereits in der Tür, doch dann drehte er sich noch einmal um. »Was? Es ist immer besser, wenn man sagt, was man denkt, als wenn man es sich wieder und wieder durch den Kopf gehen läßt.«
Und tatsächlich ging ihr diese Frage wieder und wieder im Kopf herum. »Ich frage mich, wenn wir – Freunde gewesen wären, als meine Mutter krank war und ich zu ihr gezogen bin, um bei ihr zu sein. Als sie starb. Wenn ich dir gesagt hätte, daß ich das alleine schaffe – daß ich es lieber alleine schaffe –, hättest du das respektiert? Wärst du weggeblieben?«
»Ganz bestimmt nicht.« Verwirrt setzte er sich seine Mütze auf den Kopf. »Was für eine dämliche Frage. Ein Freund läßt einen Freund, der trauert, nicht allein.«
»Das dachte ich mir«, murmelte sie und bedachte ihn mit einem so intensiven Blick, daß er sich auf der Suche nach Kuchenkrümeln mit dem Handrücken über die Lippen fuhr.
»Was?«
»Nichts. Ich habe lediglich« – sie hob ihre Tasse und lächelte ihn an – »geträumt.«
Noch verwirrter als zuvor, setzte er ebenfalls ein Lächeln auf. »Tja, also, bis dann. Du, äh, du kommst doch zum Ceili, oder?«
»Auf jeden Fall.«
15. Kapitel
Als Shannon mit Brianna und ihrer Familie zum Ceili kam, drang bereits laute Musik auf den Hof hinaus. Sie hatten den Wagen genommen, da all das von Brianna zubereitete Essen und das Baby nicht zu tragen gewesen waren.
Die erste Überraschung des Abends war die Anzahl der Wagen, die Shannon am Straßenrand stehen sah. Sie standen so weit auf dem Gras, daß es einem besonders mutigen oder verrückten Fahrer gerade noch an ihnen vorbeizumanövrieren gelang.
»Wie es aussieht, scheint das Haus bereits voll zu sein«, sagte Shannon, während sie Brianna beim Ausladen von Platten und Schüsseln behilflich war.
»Oh, das sind nur die Wagen von denen, die zu weit weg wohnen, um zu laufen. Die meisten Leute kommen zu einem Ceili zu Fuß. Gray, wenn du den Topf so schief hältst, läuft die Suppe raus.«
»Wenn ich drei Hände hätte, würde ich ihn gerade halten.«
»Er ist sauer«, klärte Brianna Shannon auf, »weil ihm sein Verlag bei der Lesereise noch eine Stadt mehr aufgehalst hat.« Ihre Stimme verriet eine gewisse Süffisanz. »Dabei gab es mal eine Zeit, in der sich dieser Mann ständig irgendwo anders rumgetrieben hat.«
»Die Zeiten haben sich eben geändert, und wenn du mitkommen würdest ...«
»Du weißt, daß ich die Pension mitten im Sommer unmöglich drei Wochen lang verlassen kann. Aber jetzt komm.«
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