Null-Null-Siebzig - Operation Eaglehurst
hilflos.«
»Was auch immer ich bin, hilflos ganz bestimmt nicht«, fuhr James auf. Er leerte sein Glas in einem Zug, setzte es unsanft auf dem Holztisch ab und tippte sich an die Stirn. »Das wäre ich vielleicht, wenn ich hier oben nicht mehr ganz klar wäre,aber solange hier noch alles in Ordnung ist, mache ich mir keine Sorgen, und ich möchte auch nicht, dass andere das für mich übernehmen.«
»James, aber ich
mache
mir Sorgen um Sie«, sagte Sheila ernst. »Wir kennen uns nun schon seit wie vielen Jahren?«
»Eine Ewigkeit.«
»Ja, und Sie haben sich nie unnötig in Gefahr gebracht. Ich werde nicht zulassen, dass Sie es jetzt tun. Ehrlich gesagt habe ich bis heute nicht geglaubt, dass wirklich etwas dran ist an der Sache. Aber wie es scheint, hatten Sie recht. Es ist vielleicht doch etwas faul an Williams Tod. Aber es wäre höchst unvorsichtig, weiter auf eigene Faust zu versuchen, den Mörder dingfest zu machen. Die weiteren Ermittlungen sollten Sie der Polizei überlassen. Zumal Sie nicht wissen, wer er oder sie ist. Aber er oder sie weiß anscheinend ganz genau, wer Sie sind. Und er oder sie fühlt sich so sicher, dass er Ihnen droht und sich lustig über Sie macht.«
»Ja, und wissen Sie auch, wem ich das zu verdanken habe? Rupert Ruthersford. Ich hatte ihn gebeten, die Leiche von Thomas Maddison obduzieren zu lassen, und ihm von meinem Verdacht berichtet. Und dieser kleine Einstein hatte nichts Besseres zu tun, als mich in Eaglehurst zu besuchen und herumzuerzählen, wer ich bin.«
Der Kellner stellte eine große Schüssel Reis und zwei gusseiserne Töpfchen auf den Tisch.
»Noch einen Martini, der Herr?«, fragte er.
»Nein, bringen Sie uns bitte zwei Bier«, sagte James.
»Habe ich das bestellt?«, fragte Sheila ungläubig und starrte auf ihr Essen. »Warum ist das rosa?«
Der Kellner zuckte mit den Schultern. James blickte auf ihr Töpfchen, dessen schaumiger Inhalt ihn an Flamingofedern erinnerte, dann auf sein eigenes Töpfchen, das bis zum Rand miteinem gelblichen Gemüsebrei gefüllt war. »Meins sieht in Ordnung aus, wollen wir tauschen?«
Sheila sah ihn unentschlossen an. »Na, kommen Sie schon, Sheila!« James zog kurzerhand das rosa Näpfchen zu sich und schob ihr seines hin. »Meins ist auch vegetarisch!«
»Danke, James.« Sheila griff erleichtert nach dem Besteck.
James probierte. »Nicht schlecht. Schmeckt nach Ingwer und Zitronengras und ein wenig nach Himbeere. Wonach schmeckt Ihres denn?«
»Scharf.« Sheila stopfte sich hastig den Mund voll mit Reis.
Sie aßen eine Weile schweigend. James hatte Sheilas Gegenwart schon immer als wohltuend empfunden, auch zu der Zeit, als sie noch Kollegen waren und ihr Mann noch lebte. Natürlich hatte er manchmal daran gedacht, wie es wäre, mit ihr zu schlafen. Dieser Gedanke stellte sich früher oder später bei fast jeder Frau ein, die er kannte. Es hätte ihn nicht gestört, dass sie verheiratet war. Im Gegenteil: Ein Ehering machte die Eroberung reizvoller und den Abschied leichter. Doch das Ende einer Affäre hätte wohl auch das Ende ihrer Freundschaft bedeutet, und in diesem Fall schien James der Preis zu hoch. Während er sich Sex mit jeder attraktiven Frau vorstellen konnte, wurde es schon schwieriger, wenn es ans Lachen ging. Nicht jede Frau teilte seinen Humor, das war die eine Sache. Die andere, weit bedenklichere war, dass viele Frauen sehr unansehnlich wurden beim Lachen. Manche schon beim Lächeln. Hatten sie mit geschlossenem Mund noch gut ausgesehen, war nun plötzlich zu viel Zahnfleisch zu sehen, oder es tauchten schiefe, unschön geformte oder zu große Zähne auf, bei manchen verzog sich das ganze Gesicht zu einer Fratze. Und die Geräusche, die manche Frauen machten, wenn sie lauthals über etwas lachten, waren ein weiteres Grauen. Vielleicht war das ein Grund dafür, dassJames von seiner Fähigkeit, andere zum Lachen zu bringen, kaum Gebrauch machte. Sheilas Lachen aber war tadellos: Sie zeigte Zähne, aber nicht zu viele, sie lachte laut, aber nicht zu laut, und ihr Gesicht veränderte sich auf eine angenehme Weise. Es bereitete ihm sogar ausgesprochene Freude, sie zum Lachen zu bringen.
Ein weiterer kritischer Punkt war die gemeinsame Einnahme von Mahlzeiten. Das helle Quietschen, das ein Messer in der Hand eines unsensiblen Menschen beim Schneiden des Fleisches auf dem Teller machen konnte, drang ihm durch Mark und Bein. Und schließlich gab es kaum etwas Furchtbareres als ein Gegenüber, das mit
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