Nur dein Leben
dreißig Minuten lähmte. Feuerzeug. Beretta . 38 mit vollem Magazin und Schalldämpfer.
Er war nervös. Wesentlich nervöser als bei irgendeinem seiner Einsätze in Amerika. Er griff in seine Anoraktasche, zog die kurze, schwere Waffe heraus und sah sie einige Augenblicke lang an, starrte auf das matte schwarze Metall. Hielt sie fest in der Hand und fuhr mit einem Finger über den Abzug.
Die Befehle seines Meisters lauteten, Schusswaffen nur im Ernstfall zu benutzen. Wenn man einmal eine Waffe abgefeuert hatte, wurde man früher oder später mit dieser in Verbindung gebracht. Ein Schuss, und man überschritt den Rubikon. Danach gab es kein Zurück; nie mehr konnte man als Soldat in der Armee des Herrn dienen.
Er war es satt, ein Soldat zu sein.
Er wollte nach Hause.
Er wollte morgen Abend in Laras Armen schlafen.
Aus diesen Gründen schraubte er im Schein der Innenbeleuchtung der gemieteten Ford-Limousine den Schalldämpfer auf, wobei er mehrere Anläufe brauchte, um das Gewinde richtig anzusetzen. Dann drückte er mit heftig zitterndem Zeigefinger den Sicherheitshebel hinunter in die
Off
-Position und schob die jetzt wesentlich unförmigere Waffe zurück in seine Anoraktasche.
Wie er im Laufe des vergangenen Monats dreimal überprüft hatte, wurde das Licht im Schlafzimmer der Sünder gegen halb zwölf gelöscht. Jetzt war es halb elf. Um Mitternacht würde er die Felder überqueren und sich an das Haus anschleichen.
Er schloss die Augen, legte die Hände vor das Gesicht und sprach das Vaterunser. So begann er seine neunzigminütige Vigil, in der er um Stärke betete.
95
GRELLES LICHT FIEL PLÖTZLICH durch die regenüberströmte Windschutzscheibe. Erst gleißend weiß, dann bläulich, und im ersten Moment erstarrte der Apostel, die Hände noch immer zum Gebet vor das Gesicht geschlagen, in nackter Panik.
Polizei?
Das Auto rollte vorüber. Wasser spritzte aus den Pfützen auf dem schlaglochübersäten Parkplatz. Der Apostel hörte Bässe wummern.
Ba-bumm-bamm-bamm, ba-bumm-bamm-bamm, ba-bumm-bamm-bamm.
Es war nicht die Polizei, sondern einer dieser schicken Sportwagen, deren Scheinwerfer aus einem gewissen Winkel heraus blau leuchteten.
Das schicke Auto fuhr bis ans andere Ende des Parkplatzes und blieb dann unter einer Eiche stehen, deren Äste über den Zaun ragten. Jenseits davon erstreckten sich eine ausgedehnte Parklandschaft und die städtischen Tennisplätze.
Die Scheinwerfer des Sportwagens wurden ausgeschaltet.
Der Apostel setzte seine Nachtsichtbrille auf und spähte durch die Heckscheibe des Autos. Im hellen grünen Lichtschein erkannte er einen Mann und eine Frau. Sie hatten die Gesichter einander zugewandt. Einmal blickten sie kurz rückwärts, zu ihm, dann fingen sie an, sich abzuknutschen.
Unzüchtige. Kloakenmenschen.
Er konnte die Bässe immer noch hören, aber nur schwach.
Das ist mein Platz. Gott hat ihn für mich gefunden. Ihr solltet nicht hier sein, nein, auf keinen Fall.
Er fuhr mit der rechten Hand in seine Anoraktasche und umklammerte die kalte, harte Rückseite seiner Waffe. Das Pärchen zu eliminieren wäre leicht, er hatte genügend Munition. Gott würde das befürworten – alles, was sich zwischen ihn und die Sünder stellte, war ein legitimes Ziel.
Der Schweiß lief ihm den Rücken hinunter. Diese Leute hier, die hätten nicht hier sein sollen. Noch konnte er den Einsatz abbrechen, wegfahren und morgen wiederkommen. Nur, dass das Wetter heute Abend perfekt war und Lara wartete, und warum sollten ihm diese Kloakenleute einen weiteren Tag stehlen? Er hatte dem Meister bereits gemailt. Die Pläne standen fest. Zu viele Änderungen wären nötig.
Er zitterte so heftig, dass er nicht mehr klar denken konnte.
Unwillkürlich drehte er den Zündschlüssel, legte den ersten Gang ein, schaltete die Scheinwerfer ein, verließ den Parkplatz und bog nach links ab, in Richtung Dorf, an dem belebten Pub mit dem vollen Parkplatz vorbei und die Allee entlang, die zum Haus des Sünders führte.
Er hätte einfach rechts abbiegen und geradewegs hinfahren können.
Verrückt!
Er blieb vor der Abzweigung stehen, wendete und fuhr zurück in Richtung Dorf. Fieberhaft dachte er nach und versuchte, den roten Schleier seines Zorns zu zerreißen. Konzentrier dich!
Ruhe. Ruhe. Ruhe.
Er durchquerte das Dorf zurück in Richtung Hauptstraße, wechselte als Amerikaner aus alter Gewohnheit auf die rechte Seite und musste blitzartig ausweichen, als plötzlich Scheinwerfer direkt auf ihn
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