Nur ein Hauch von dir
mir.«
Das versetzte mich in Panik. »Wird das bei mir genauso sein?«, flüsterte ich. »Soll ich es abnehmen, solange ich noch kann?«
»Ich weiß es nicht.« Seine Stimme klang besorgt. »Ich denke, bei dir ist das anders, weil du es nicht auf dem üblichen Weg bekommen hast. Aber ich habe mich noch nicht getraut, irgendjemanden zu fragen.«
Plötzlich wich er meinem Blick aus.
»O«, sagte ich, überrascht über das, was er erzählt hatte und über seine Reaktion. Es sah fast so aus, als würde er etwas verschweigen. »Aber wozu sind diese Armreifen gut?«, fragte ich. »Braucht ihr sie zur Verständigung untereinander?«
»Also, nein, nicht wirklich. Ich meine … also ein bisschen schon: Wir wissen, wenn sich uns ein anderer nähert.« Callum riskierte einen schnellen Blick auf mich, dann schlug er die Augen wieder nieder.
»Ist das alles, was es bewirkt?«, drängte ich und strich mit dem rechten Zeigefinger über mein Amulett. Es sah so harmlos aus, der Stein saß ruhig und friedlich in seiner Fassung.
Callums Gesicht glich einer Maske aus widerstreitenden Gefühlen. Das war eindeutig eine Schlüsselfrage. Eine Frage, die er nicht beantworten wollte. Schweigend saßen wir eine Weile da, während er mit sich rang. Schließlich räusperte er sich, als hätte er eine Rede vorbereitet. »Wir benutzen unser Amulett«, wieder stockte er, doch dann schien er zu einem Entschluss gekommen zu sein. »Wir benutzen unser Amulett, um fremde Gedanken aufzunehmen, glückliche Gedanken, Gefühle und Erinnerungen«, sagte er wie gehetzt. »Wenn wir das nicht regelmäßig machen …«, Callum ließ den Kopf hängen, als würde er sich schämen, »dann versinken wir in unerträglicher Schwermut.«
Fast wäre ich in hysterisches Gelächter ausgebrochen, so aberwitzig klang das alles. Ein Blick auf seinen gesenkten Kopf hielt mich allerdings davon ab. Für ihn war es offensichtlich sehr ernst. Das konnte noch nicht die ganze Wahrheit gewesen sein.
»Das klingt doch nicht so schrecklich schlimm«, sagte ich leichthin. »Ich meine, niemand merkt, dass du an dem teilnimmst, was sie im Kopf haben. Und wenn sie es nicht merken, tut es ihnen ja auch nicht weh, oder?«
Er hob den Kopf und sah mich mit gequälten Augen an. »Du hast nicht verstanden. Wir – ich – nehmen nicht nur an den Erinnerungen teil. Wir nehmen ihnen die Erinnerung fort. Wir stehlen sie.«
Ich spürte, wie mir vor Schreck der Mund offen stand.
Schnell versuchte ich, mich wieder zu fangen. »Also ihr nehmt den Menschen ihre glücklichen Erinnerungen und Gefühle, um euch selbst vor der Schwermut zu bewahren?«
»Ja.« Das kam fast nur als Hauch.
»Und … bewahrt ihr diese Erinnerungen auf? Die Gedanken? Könnt ihr sie lesen?« Ich erinnerte mich daran, wie er mir versichert hatte, er könnte nicht in meinem Kopf lesen. »Du hast gesagt, du wüsstest nicht, was ich denke.«
Er wandte sich ab und legte den Kopf in die Hände, und alles wurde still. Ich konnte sehen, dass er sprach, doch er sah mich nicht an und bemerkte nicht, dass wir den Kontakt verloren hatten. »Callum!«, rief ich sanft, »du musst herkommen. Ich kann nicht hören, was du sagst.«
Er fuhr hoch und blickte auf seine Hände, als hätten die ihren eigenen Willen. Schnell setzte er sich wieder in Position. »Tut mir leid, ich hab vergessen, dass ich mich nicht bewegen darf. Ich hab noch nie versucht, mit jemandem darüber zu reden, und es … fällt mir sehr schwer.«
»Kann ich verstehen. Wir haben keine Eile. Erzähl einfach so viel, wie du mir erzählen willst.« Ich brannte vor Neugier, aber ich hielt mich zurück.
Er brachte den Hauch eines Lächelns zustande. »Du bist so verständnisvoll bei alldem. Nicht wie ich befürchtet hatte.«
»Also«, ich versuchte, überzeugend zu lachen. »Du bist doch nicht darauf aus, mir meine Erinnerungen zu stehlen, oder?«
»Nein, nein! Bin ich nicht! Bei dir würde ich das nie machen. Etwas so Wertvolles würde ich dir niemals wegnehmen.« Er sprach plötzlich mit scharfer Stimme. »Das darfst du nicht einmal denken!« Seine Augen blitzten wütend und verletzt auf.
»Dann ist ja alles okay«, versuchte ich nicht zuletzt mich selbst zu beschwichtigen. »Komm, erzähl mir davon. Ich möchte es wirklich verstehen, doch ich muss es diesmal auch hören können.« Ich lächelte ihn ermutigend an.
Sein Lächeln hätte ausgereicht, um mir das Herz schmelzen zu lassen, wenn das nicht schon längst geschehen wäre. Er sah so
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