Nur ein Katzensprung
nicht?“
Er zuckte mit den Schultern. „Es wird von Tag zu Tag unwahrscheinlicher, nicht wahr?“
Als er bemerkte, dass ihr Tränen in die Augen schossen, legte er ihr eine Hand auf den Oberarm. „Lass man, das renkt sich ein.“
Sie nickte beklommen und rechnete damit, dass er sie umgehend verließ. Doch er blieb hinter ihr stehen.
Irene drehte sich schließlich zu ihm um.
„Wie geht es dir?“
„So lala!“
„Und deiner Tochter? Kim, oder?“
Überrascht hob Irene den Blick. „Was ist mit Kim? Der geht es super. Ich halte sie da raus, so gut ich kann.“
„Hat sie viele Freundinnen?“
„Ich denke schon. Klar.“
„Tanzt sie noch?“
Irene wunderte sich, dass er sich das gemerkt hatte. „Ja, ja. Sie üben gerade für einen Auftritt.“
„Ach, ist sie so begabt?“
„Ihre Lehrerin behauptet, sie wäre talentiert. Ich kann das nicht beurteilen. Kim mag die Musik. Sie bewegt sich gern.“
„Dann hat die Ballettlehrerin bestimmt recht.“
„Das werden wir bald sehen.“
„Wieso?“
„Das Tanzstudio hat Kim zu einem Vortanzen angemeldet. Sie könnte ein Stipendium bekommen, wenn sie Talent hat.“ Irene senkte die Stimme. „In meiner Lage ist der Tanzunterricht unglaublich teuer.“
„Was unternimmst du, wenn sie plötzlich keine Lust mehr hat?“
„Darüber mache ich mir Gedanken, wenn es so weit ist, aber ich glaube, dass man Kinder manchmal ein wenig zu ihrem Glück zwingen muss, sonst gewinnt der innere Schweinehund, was sie später zutiefst bereuen.“ Dabei dachte sie daran, dass ihre Mutter ihr immer erlaubt hatte, die Sportarten und Musikinstrumente auszuprobieren, die sie gerade reizten. Dadurch hatte sie vieles ausprobiert, konnte aber nichts richtig. „Hast du nicht auch einmal ein Instrument gespielt?“
„Eine Weile“, er lachte künstlich und zu laut. „Ich habe alles verlernt.“
Plötzlich hatte er es eilig, ihr Büro zu verlassen.
Irene schaute ihm hinterher, seufzte und begann die E-Mails abzuholen.
Nach einer guten Stunde ging sie in die kleine Teeküche und machte sich einen Cappuccino. Sie erschrak, als Stella unvermutet neben ihr auftauchte.
„Hi!“, grüßte sie.
Irene wich einen Schritt zurück.
Stella musterte sie. Was wollte sie? Sie versperrte Irene den Weg.
„Guten Morgen“, sagte sie betont fröhlich. „Kann ich etwas für dich tun?“
Stella legte ihren Zeigefinger quer über den Mund. „Psst.“ Sie sah sich suchend nach hinten um. „Er darf uns nicht hören.“
„Was soll das?“
„Nicht so laut“, flüsterte Stella. „Bitte. Ich muss mit dir reden. Es ist wichtig.“ Sie drückte ihr einen klein zusammengefalteten Zettel in die Hand. „Bitte.“ Sie schaute Irene flehend an. Als diese nicht reagierte, machte sie kehrt und ging weg.
Irene flüchtete sich in ihr Büro. Ihr Herz klopfte, und sie spürte Wärme in sich aufsteigen. Mit zitternden Fingern faltete sie das Papier auseinander.
„12.30 Uhr, Hellers Krug“ stand darauf.
Irene wusste nicht, was sie davon halten sollte. Hatte Stella Leon in eine Falle gelockt und wollte sie nun auch loswerden? Oder hielt sie Leon irgendwo gefangen und musste Irene aus dem Weg räumen, bevor sie ihn wieder frei ließ?
Klang wenig plausibel.
Sollte sie hingehen?
31
Kofi erwachte, weil die Sonne in sein Gesicht schien. Das Wetter war schöner und wärmer als im Hochsommer. Vorsichtshalber würde er eine Jacke mitnehmen, die er wahrscheinlich nicht brauchen würde.
Er rief auf der Dienststelle an und sagte, dass er als Erstes ins Krankenhaus führe und anschließend zum Dienst käme.
Einen Parkplatz fand er direkt gegenüber dem Eingang. Die Mitarbeiterin am Empfang nannte ihm Zimmernummer und Station, ohne zu zögern oder nach seiner Legitimation zu fragen. Kofi war ziemlich erleichtert, dass es sich dabei nicht um die Intensivstation handelte.
Er verirrte sich zweimal, bevor er vor dem richtigen Zimmer angekommen war. Er klopfte und lauschte. Keine Reaktion. Vorsichtig öffnete er die Tür.
Stefan Ollner lag in dem Bett am Fenster. Sein Kopf war verbunden. Aus einem Tropf neben dem Bett tropfte ganz langsam eine durchsichtige Flüssigkeit in die Kanüle in seiner Armbeuge.
Kaum stand Kofi neben seinem Bett, öffnete Stefan die Augen, das heißt, eigentlich öffnete er nur das linke Auge. Das rechte war komplett zugeschwollen und wies alle Farben zwischen dunklem Lila und schmutzigem Gelb auf.
Ollner hob eine Hand leicht zum Gruß.
Er war wach. Kofi freute sich so, dass
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