Nur wenn du mir vertraust - Crombie, D: Nur wenn du mir vertraust - Now May You Weep
übrigens, Gemma, ich nehme morgen gleich den ersten Zug. Ich schätze, dass ich irgendwann am Nachmittag in Aviemore eintrudeln werde.«
»Lass dir Zeit, Schatz«, sagte Alison geduldig, während sie hinter ihrer Tochter die Treppe hinaufging. Sie würde sich hüten, ihrer Tochter bei diesem zeitraubenden und mühseligen Unterfangen ihre Hilfe anzubieten oder sie gar zu überholen, auch wenn ihre Hände von den schweren Einkaufstaschen noch so sehr schmerzten.
Es war ihr gewohntes Sonntagsprogramm. Zuerst der Gang zum Supermarkt, wo sie für die ganze Woche einkauften, dann der Besuch bei Alisons Mutter in Carrbridge, wo es Butterbrote und gekauften Kuchen zum Tee gab. Chrissy liebte ihre Großmutter und schien des immer gleichen Ablaufs nie überdrüssig zu werden; heute jedoch wirkte das Mädchen, das sonst immer so fröhlich erzählte, gedrückt und ungewöhnlich still.
Alison wusste, dass es der gestrige Streit mit Donald war, der ihr so nahe gegangen war, und sie war wütend auf sich selbst, weil sie Chrissy überhaupt zu der Pension mitgenommen hatte. Es war nicht ihre Absicht gewesen, das Ganze in einen lautstarken Streit ausarten zu lassen; eigentlich hatte sie auch gar nicht klingeln wollen. Sie hatte sich nur umsehen wollen – schauen, ob Donald wirklich da war, ob es stimmte, was Callum ihr gesagt hatte.
Aber dann hatte sie Donald durch das hell erleuchtete Fenster des Wohnzimmers erblickt; hatte gesehen, wie er dieser hübschen dunkelhaarigen Frau ein Glas von seinem ach so kostbaren Whisky eingeschenkt und ihr dabei wie ein liebeskranker Schafbock in die Augen geschaut hatte.
Sie erinnerte sich, wie Chrissy an ihrer Hand gezerrt hatte, als sie auf die Haustür zugestürmt war, aber da hatte sie schon nicht mehr klar denken können, hatte nur noch darauf gebrannt, diesem Mistkerl ins Gesicht zu sagen, was sie von ihm hielt. All ihre Träume waren von einer Sekunde auf die andere in Rauch aufgegangen, und das Wissen um ihre eigene Dummheit machte alles nur noch schwerer zu ertragen.
Nun war alles plötzlich sonnenklar, all die kleinen Kränkungen und Ausreden. Er hatte sich ihrer geschämt, und sie war zu blöde gewesen, es zu sehen. Er hatte nie vorgehabt, sie zu sich nach Benvulin zu holen, hatte nie ernsthafte Absichten gehabt – sie war gerade gut genug gewesen, um ihm das Bett zu wärmen und die Zeit zu vertreiben, bis sich etwas Besseres fand.
Und gestern Abend hatte sie alle Brücken hinter sich abgebrochen und ihm ihre ganze Enttäuschung ins Gesicht geschrien. Jetzt war wirklich nichts mehr zu retten; nicht einmal ein Abschiedsgeschenk als Zeichen seines schlechten Gewissens konnte sie sich noch erhoffen.
Endlich hatte Chrissy die Treppe geschafft und schloss mit ihrem eigenen Schlüssel die Wohnungstür auf. Es war kalt in der Wohnung, und es roch leicht nach dem Kohl, der bei dem Mieter unter ihnen anscheinend täglich auf dem Speiseplan stand. Von nun an würde dies ihr Leben sein, dachte Alison: Tee bei ihrer Mutter; der Einkauf im Supermarkt, wo sie jeden Penny zweimal umdrehen musste; eine Woche schuften unter den kalten, misstrauischen Augen von Mrs. Witherspoon – bis dann alles wieder von vorne anfing.
Doch als Alison Chrissy beobachtete, wie sie die Cornflakes in den Schrank stellte und die Äpfel vorsichtig in die Obstschale legte, ihr kleines Gesicht vor Konzentration ganz angespannt, da schämte sie sich plötzlich. Sie hatte doch Chrissy, alles andere zählte nicht – und sie würden es schon irgendwie schaffen.
»Wir könnten uns heute Abend ein Video anschauen«, schlug sie mit fröhlicher Stimme vor. »Irgendwas Schönes. Und dazu heiße Schokolade schlürfen. Das ist doch ein Angebot, oder, Schatz?«
Chrissy wandte sich zu ihr um, und Alison war überrascht, ihre ernste Miene zu sehen. »Ist schon gut, Mummy. Du musst mir nichts vorspielen. Du musst dich nicht wegen der Geschichte mit Donald besonders anstrengen.«
»Aber… ich dachte… ich dachte, du wärst vielleicht enttäuscht. Das Pony…«
Chrissy zuckte mit den schmächtigen Schultern und stellte eine Tüte Milch in den Kühlschrank. »Ich habe sowieso nie richtig daran geglaubt. Das war wie eine Geschichte aus einem Märchenbuch. Es ist schon okay, wirklich.«
»Aber Schatz…« Alison wischte sich die Tränen ab, die ihr plötzlich in die Augen schossen und ihre Wimperntusche zu verwischen drohten.
»Können wir uns
Spirit, der Hengst von Cimarron
angucken?«, fragte Chrissy und schloss damit das
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