Nur wenn du mir vertraust - Crombie, D: Nur wenn du mir vertraust - Now May You Weep
worden.«
»So ist das nun mal in den Highlands«, sagte die junge Frau lächelnd. »Wir bilden uns einiges ein auf unsere Unberechenbarkeit. Das Restaurant ist noch geschlossen, aber ich kann Ihnen gerne eine Tasse aus der Küche holen, wenn es Ihnen nichts ausmacht, den Kaffee hier zu trinken.«
Gemma nahm das Angebot dankbar an. Um sich die Wartezeit zu verkürzen, sah sie sich ein wenig im Foyer um und entdeckte dabei eine kleine Tafel mit einem Abriss der Geschichte des Hotels. Als die Frau vom Empfang mit dem Kaffee zurückkam, sagte Gemma: »Wie ich sehe, hatten Sie Königin Viktoria hier zu Gast.«
»Ja, das war 1860.« Die junge Frau grinste. »Ob Sie’s glauben oder nicht, das war das größte Ereignis in der Geschichte von Grantown. Aber es muss schon eine tolle Zeit gewesen sein damals«, fügte sie ein wenig wehmütig hinzu, »mit all den Bällen und Tanzgesellschaften. Und die Kleider waren bestimmt fantastisch.«
»Und extrem unbequem«, vermutete Gemma, worauf sie beide lachten. »Können Sie sich vorstellen, immer ein Korsett zu tragen?«
Als sie ihren Kaffee ausgetrunken hatte, war der Schauer vorüber. Sie ging wieder hinaus auf die Grünfläche und blieb kurz stehen, um in der zunehmenden Dunkelheit zu dem Hotel aufzublicken und sich den Platz mit Kutschen und Pferdewagen und Scharen von Menschen vorzustellen, die Luft erfüllt von ihrem erregten Stimmengewirr.
Mit einem Seufzer des Bedauerns wandte sie sich ab. Es war nicht der Moment, sich in Tagträumen über glücklichere Zeiten zu ergehen. Rasch ging sie zum Wagen zurück und rief im Polizeirevier von Aviemore an, um sich nach Hazel zu erkundigen. Ein anderer – und weit weniger entgegenkommender – Sergeant hatte inzwischen seinen Kollegen abgelöst, und von ihm erfuhr Gemma lediglich, dass Mrs. Cavendish seines Wissens immer noch von Chief Inspector Ross vernommen werde.
Gemma rief in der Pension an und bekam Louise an den Apparat.
»Sind Sie zum Abendessen zurück?«, fragte Louise. Ihr Ton war beinahe flehentlich. »John macht eine Ziegenkäse-Quiche. Er dachte, das wäre auch etwas für Hazel… er hatte gehofft…«
»Rechnen Sie nicht mit mir«, erwiderte Gemma ausweichend. »Ich habe noch einiges zu erledigen, und ich will Sie auf keinen Fall aufhalten.« Im Esszimmer der Innesens zu sitzen und auf
zwei
leere Stühle starren zu müssen schien ihr plötzlich mehr, als sie ertragen konnte.
Doch die Wahrheit war, dass sie gar nichts tun konnte – das wurde ihr klar, als sie langsam aus Grantown hinausfuhr; und das Bewusstsein ihrer Hilflosigkeit frustrierte sie so, dass es ihre Fähigkeit zum klaren Denken beeinträchtigte. Sie musste irgendwie Abstand gewinnen, die Dinge aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Sie nahm sich vor, irgendwo Halt zu machen und bei einem leichten Abendessen im Pub alles in Ruhe zu überdenken.
Sie fuhr zurück auf die Hauptstraße, ließ die Abzweigung nach Nethy Bridge links liegen und nahm die nächste Ausfahrt zu dem Dorf Boat of Garten. Die Empfangsdame hatte ihr das Essen im dortigen Boat Hotel empfohlen. Das Lokal hatte sie schnell gefunden, doch als sie aus dem Wagen stieg, erblickte sie plötzlich ihr Spiegelbild in der Fensterscheibe. Zum ersten Mal seit dem Aufstehen fiel ihr auf, wie ungewaschen und zerzaust sie war und dass sie immer noch die Kleider trug, die sie in aller Herrgottsfrühe hastig übergestreift hatte. Was soll’s, dachte sie und strich sich achselzuckend eine Haarsträhne hinters Ohr – sie werden mich schon reinlassen.
Sie betrat das Lokal, bestellte ihr Essen an der Theke und setzte sich an einen Fenstertisch. Während sie einsam ihre Hühnersuppe mit Lauch verzehrte, versuchte sie, die Ereignisse des Tages im Kopf zu sortieren. So sehr war sie es gewohnt, Kincaids Meinung zu ihren Ideen einzuholen, dass sie sich ohne ihn regelrecht gehandikapt fühlte.
Aber es war mehr als das, wie sie sich eingestehen musste, als sie ihren Cider austrank und sich auf den Weg zurück zum Wagen machte. Dass sie bei den Ermittlungen nichts zu sagen hatte, war nicht der eigentliche Grund für ihr fruchtloses Umherirren, und es war auch nicht der fehlende Gedankenaustausch mit Duncan. Es waren ihre Zweifel an Hazel, die sie daran hinderten, mit kühler Logik an den Fall heranzugehen.
Sie dachte daran, wie oft Hazel in der Vergangenheit für sie da gewesen war – immer der ruhende Pol, wenn Gemma wieder einmal mit irgendwelchen Krisen am Arbeitsplatz oder zu Hause zu kämpfen
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