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Nur zu deinem Schutz (German Edition)

Nur zu deinem Schutz (German Edition)

Titel: Nur zu deinem Schutz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harlan Coben
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einem Sakrileg gleichgekommen. In gewisser Weise war das Spielfeld unsere Kirche. Und wir wussten, was sich in einer Kirche gehörte. Erst als ich ihm signalisierte, dass ich eine kleine Pause brauchte, brach er das Schweigen.
    »Dein Vater hat das früher immer für mich gemacht«, sagte er. »Ich warf, er fing die Rebounds.«
    Mein Vater hatte dasselbe auch für mich gemacht, aber ich hatte keine Lust, ihm davon zu erzählen.
    Myrons Augen wurden feucht. Das passierte ziemlich oft. Er war nah am Wasser gebaut. Jedes Mal wenn wir Zeit miteinander verbrachten, versuchte er, das Thema auf meinen Vater zu bringen. Fuhren wir zum Beispiel an einem Chinarestaurant vorbei, konnte es passieren, dass er leise murmelte: »Dein Vater hat immer gesagt, dass es hier die besten Dim Sums der Stadt gibt.« Kamen wir an einem Baseballfeld vorbei, seufzte er: »Ich weiß noch, wie dein Dad mit neun einmal einen Ground-Rule-Double schlug und damit das Spiel gewann.«
    Ich ging nie darauf ein.
    »Ich kann mich noch daran erinnern«, fuhr Myron jetzt fort, »dass dein Vater und ich an einem Abend drei Stunden lang H.O.R.S.E gespielt haben. Kannst du dir das vorstellen? Am Ende einigten wir uns auf unentschieden. Ganze drei Stunden! Das hättest du sehen sollen.«
    »Ganz toll«, sagte ich betont gelangweilt.
    Myron lachte. »Gott, was bist du manchmal für ein kleines Ekelpaket.«
    »Nein, schon klar. Ihr habt drei Stunden lang gespielt, und keiner hat verloren, weil ihr beide so verdammt gut wart. Deswegen nannte man euch auch die ›siamesischen Basketball-Zwillinge‹, stimmt’s?«
    Myron lachte wieder und dann schwiegen wir. Als ich schließlich aufstand, um ins Haus zurückzugehen, sagte er: »Mickey?«
    Ich drehte mich zu ihm um und sah ihn an.
    »Wenn wir deine Mom morgen früh von der Klinik abgeholt haben, lasse ich euch allein, okay?«
    Ich bedankte mich mit einem knappen Nicken.
    Myron schnappte sich den Basketball und begann, Körbe zu werfen. Basketball war auch seine Flucht. Vor Kurzem hatte ich auf YouTube einen alten Clip von dem Moment gefunden, in dem er sich die Verletzung zugezogen hatte, die seine Karriere dann beendete. In dem Video hatte er ein Trikot der Boston Celtics an und dazu diese grauenhaft kurzen Shorts, die man damals trug. Als er gerade eine Rechtsdrehung macht, rammt ihn Burt Wesson von den Washington Bullets, und Myrons Bein verbiegt sich in einem total unnatürlichen Winkel. Selbst in dem alten Video kann man hören, wie der Knochen splittert.
    Ich sah ihm noch ein, zwei Sekunden zu, stellte fest, dass unsere Sprungwurftechnik erschreckend ähnlich war, und wollte gerade ins Haus zurück, als mich ein Gedanke innehalten ließ. Nach der Verletzung war Myron Sportagent geworden. Meine Eltern hatten sich durch ihn kennengelernt, weil Myron damals eine junge aufstrebende Tennisspielerin namens Kitty Hammer unter Vertrag hatte, die später meine Mutter werden sollte. Irgendwann fing Myron an, nicht nur Sportler, sondern auch Schauspieler, Musiker und andere Künstler zu vertreten. Zu seinen Schützlingen gehörte unter anderem auch Lex Ryder von der Rockband HorsePower.
    Mom kannte HorsePower. Dad auch. Myron hatte sie vertreten. Und auf dem Plattenspieler der Hexe hatte ihr erstes Album gelegen, das mittlerweile dreißig Jahre alt sein musste. Zufall?
    Ich wandte mich noch einmal zu Myron um. Er hielt den Ball fest und sah mich an. »Was gibt’s?«
    »Du kennst doch sicher die Hexe, oder?«, fragte ich. »Was weißt du über sie?«
    Er runzelte die Stirn. »Du meinst die alte Frau, der das Haus an der Ecke Pine Street und Hobart Gap gehörte?«
    Ich nickte.
    »Wow. Die Hexe. Sie muss schon seit einer Ewigkeit tot sein.«
    »Wie kommst du darauf?«
    »Keine Ahnung. Ich kann nicht glauben, dass die Kinder sich immer noch Geschichten über sie erzählen.«
    »Was für Geschichten?«
    »Sie war so etwas wie das weibliche Pendant zum Schwarzen Mann, mit der man kleinen Kindern hier in der Stadt Angst machte«, sagte er. »Es gab Leute, die behaupteten, sie hätten gesehen, wie sie nachts Kinder in ihr Haus zerrte.«
    »Hast du sie denn mal gesehen?«, fragte ich.
    »Ich? Nein.« Myron ließ betont geschäftig den Ball auf der Spitze seines Zeigefingers kreiseln. »Aber ich glaube, dein Vater hat sie mal gesehen.«
    Ich fragte mich, ob er das nur sagte, um das Thema wieder krampfhaft auf meinen Vater zu lenken, aber eigentlich war das nicht sein Stil. Mein Onkel hatte einige Schwächen, aber ein Lügner war

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