Nur zu deinem Schutz (German Edition)
er nicht.
»Was ist damals passiert?«
Ich sah Myron an, dass er mich gern gefragt hätte, warum mich das interessierte, aber gleichzeitig Angst hatte, mich damit zu vertreiben. Ich redete nicht viel mit ihm, und schon gar nicht über meinen Dad. Wahrscheinlich wollte er nicht riskieren, dass ich sofort wieder dichtmachte. »Hm. Lass mich mal nachdenken«, sagte er und rieb sich das Kinn. »Wir sind von klein auf immer an dem Haus vorbeigegangen und wussten natürlich von der Hexe. Ich meine, selbst du kennst schon die Geschichten, die man sich über sie erzählt, obwohl du gerade mal ein paar Wochen in der Stadt wohnst. Ich kann mich noch gut an einen Vorfall erinnern, der passiert ist, als ich zwölf und dein Vater sieben gewesen ist. Wir hatten uns im Colony-Kino einen ziemlich gruseligen Film angeschaut und waren auf dem Heimweg. Es fing schon an, dunkel zu werden, es regnete, und wir kamen an ein paar älteren Jungs vorbei, die uns verfolgten und riefen, dass die Hexe sich uns holen würde. Dein Vater bekam solche Angst, dass er anfing zu weinen.«
Myron schluckte und wandte den Blick ab. Er kämpfte wieder mit den Tränen.
»Von diesem Abend an hatte dein Dad regelrecht Panik vor dem Haus. Wir fanden es alle unheimlich, aber dein Vater hat sich danach geweigert, auch nur daran vorbeizugehen. Er hatte schlimme Albträume, in denen das Haus eine Rolle spielte. Ich weiß noch, dass er einmal zusammen mit anderen Kindern bei einem Freund übernachtete und dort mitten in der Nacht laut schreiend aufwachte, weil er geträumt hatte, die Hexe würde ihn holen kommen. Die anderen zogen ihn deswegen auf. Man kennt das ja.«
Ich nickte.
»Eines Abends – Brad war damals zwölf oder dreizehn – lungerte er mit ein paar Freunden auf der Straße herum, und irgendwann wurde ihnen so langweilig, dass seine Kumpel auf die Idee kamen, ihn dazu herauszufordern, an der Tür der Hexe zu klopfen. Natürlich wollte er eigentlich nicht, aber dein Vater wäre eher gestorben, als vor den anderen sein Gesicht zu verlieren.«
»Und was ist dann passiert?«
»Er ging zum Haus der Hexe. Es war stockdunkel. Nirgends brannte Licht. Seine Freunde warteten auf der anderen Straßenseite. Sie dachten, er würde klopfen und dann sofort abhauen, aber Brad klopfte und blieb vor der Tür stehen. Die Jungs warteten gespannt darauf, ob die Hexe ihm aufmachen würde. Aber dann passierte etwas ganz anderes. Dein Vater machte die Tür einfach selbst auf und ging hinein.«
Mir blieb fast die Luft weg. »Allein?«
»Ganz allein, ja. Er verschwand im Haus, und seine Freunde warteten darauf, dass er wieder herauskam. Die Zeit verging, aber er kam nicht. Nach einer Weile dachten sie, Brad hätte ihnen vielleicht einen Streich gespielt und wäre heimlich durch die Hintertür abgehauen, um ihnen einen Schreck einzujagen.«
Ich machte einen Schritt auf ihn zu. »Und? War es so?«
»Alan Bender, einer der besten Freunde deines Vaters, glaubte nicht daran. Als dein Dad nach zwei Stunden immer noch nicht aufgetaucht war, fing er an, sich ernsthafte Sorgen zu machen, und beschloss, zu uns nach Hause zu laufen und Hilfe zu holen oder wenigstens jemandem zu erzählen, was passiert war. Ich weiß noch, dass er wahnsinnig aufgeregt war und völlig außer Atem. Ich war gerade draußen und warf Körbe, so wie heute Abend. Alan erzählte mir, dass er gesehen hätte, wie Brad ins Haus der Hexe gegangen und anschließend nicht mehr herausgekommen sei.«
»Waren Grandma und Grandpa zu Hause?«
»Nein, sie waren ausgegangen. Es war ein Freitagabend. Damals gab es noch keine Handys, also konnte ich sie nicht anrufen. Ich rannte mit Alan zum Haus der Hexe und hämmerte gegen die Tür, aber niemand antwortete. Alan sagte, dein Dad hätte bloß den Knauf gedreht und wäre reinspaziert. Ich versuchte es, aber jetzt war die Tür abgeschlossen, und ich bildete mir ein, Musik aus dem Inneren des Hauses zu hören.«
»Musik?«
»Ja, es war wirklich seltsam. Ich bekam Panik und versuchte sogar, die Tür einzutreten, schaffte es aber nicht. Irgendwann sagte ich Alan, er solle zu den Nachbarn laufen und sie bitten, die Polizei zu rufen. Genau in dem Moment, als Alan losrennen wollte, ging die Tür auf, und dein Vater kam herausspaziert. Einfach so. Er wirkte vollkommen ruhig und gelassen. Ich fragte ihn, ob alles in Ordnung sei, und er sagte nur: ›Klar. Alles bestens.‹«
»Was hat er noch gesagt?«
»Nichts.«
»Hast du ihn nicht gefragt, was er zwei Stunden lang
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