O du Mörderische
registrierte verblüfft, wie schlecht
sie war.
»Was ist das für ein Höcker?« fragte Schwesterherz und zeigte auf eine der liegenden Figuren.
»Das ist eine der Frauen, die wie Claire aussehen und die von der Frau, die wie Mercy aussieht, gemalt werden.«
|282| »Das soll ein Mensch sein?«
»Es sollte ja nur als kleine Erinnerungsstütze dienen.«
Frances und Bonnie Blue waren ein klein wenig freundlicher.
»Ich wollte, ich könnte mir das im Original ansehen«, meinte Frances. »Es hört sich interessant an.«
»Geh morgen noch mal hin, und nimm eine Kamera mit«, schlug Bonnie Blue vor.
Wir traten in eine klare, frische Dezembernacht hinaus. Trotz der Beleuchtung in der Stadt waren die hellsten Sterne sichtbar.
»Da ist Orion«, sagte Frances und deutete auf die drei bekannten Sterne nahezu direkt über uns.
»Ich frage mich«, sagte Bonnie Blue, »was es mit dem Stern von Bethlehem auf sich hatte. Ihr nicht auch? Was war das wohl
für ein Phänomen?«
»Natürlich frage ich mich das auch«, erwiderte ich. »Es muß ein atemberaubender Eindruck für die Weisen aus dem Morgenlande
gewesen sein, sonst wären sie ihm wohl kaum so einfach gefolgt.«
Mary Alice war mit uns zur Ausfahrt hinausgegangen, um ihre Zeitung reinzuholen. »Und ihre Frauen mit den Kindern und der
schmutzigen Wäsche haben sie zu Hause zurückgelassen«, fügte sie hinzu.
»Wer weiß, vielleicht wurde ja jeder ihrer Frauen eine Tiffany zugeteilt.«
»Seht zu, daß ihr heimkommt«, sagte sie und briet mir eins mit der zusammengerollten Abendzeitung über.
Wir machten uns lachend davon.
Fred schlief tief und fest, als ich nach Hause kam, aber mir war kalt, und meine Hand schmerzte. Ich zog mein Nachthemd und
meinen Bademantel im Badezimmer an und ging auf Zehenspitzen durch den Flur, um mich mit einer Wolldecke |283| aufs Sofa zu verziehen. Ich las eine Weile Tony Hillerman, etwas, das mich normalerweise absolut zuverlässig wach hielt, aber
sobald es mir wärmer wurde, verschwamm das Navajoland in der Ferne.
Ross Perry kam und setzte sich ans Ende des Sofas. Ich konnte die geplatzten Äderchen in seinem Gesicht sehen und den Schatten
des Farns, der mich an Gorbatschows Muttermal erinnerte. Er lehnte sich zurück und machte es sich bequem. »Wissen Sie, an
wen ich bei Claire immer denken mußte?« fragte er mich. »An die Herrin vom See mit der Lilie in der Hand.«
Ich fuhr hoch. Der Traum war so lebendig gewesen, daß ich noch seinen wuchtigen Leib spüren konnte, der sich schwer gegen
meine Füße lehnte.
»Uuuh!« Ich setzte mich auf und zog mir die Decke um die Schultern.
»Was ist los?« fragte Fred, der in der Tür stand. »Alles in Ordnung mit dir?«
»Ich glaube, ich hatte gerade Besuch von Marleys Geist.«
»Vielleicht hast du irgendwas Falsches gegessen.«
»Das hat Scrooge auch gedacht.«
»Komm ins Bett, Liebling. Tut deine Hand weh?«
Ich hatte nicht den Mut aufgebracht, ihm die Wahrheit zu sagen, und hatte ihm erzählt, daß ich sie mir an der Autotür angestoßen
hätte. Sein spontanes Mitgefühl hatte die Schmerzen nur noch verschlimmert.
»Es geht schon. Ich komme in ein paar Minuten nach.«
»Erkälte dich nicht.«
Ich saß ein paar Minuten in meine Decke gewickelt da, dann stand ich auf und holte die Skizze aus meiner Tasche. Eine weiße
Blume in der Hand. Eine Lilie. Ein weißes, fließendes Gewand.
Die Herrin vom See war ein Teil der Artussage. Aber wie lautete die Geschichte dazu? Konnte sie die Welt nicht nur |284| durch Spiegel sehen? Und dann kam Lancelot vorbei, und sie drehte sich um, um ihn anzuschauen?
Tennyson. Tennyson hatte ein Gedicht über sie geschrieben. Ich stand auf, nach wie vor in meine Decke gewickelt, schlurfte
zum Bücherregal und zog die Anthologie viktorianischer Gedichte heraus. Ich brauchte nur ein paar Minuten, um herauszufinden,
daß zwei Frauen aus Liebe zu Lancelot gestorben waren, sich selbst in weißen Kleidern und Lilien in der Hand niedergelegt
hatten, um sich nach Camelot treiben zu lassen. Eine davon war Elaine, deren Zurückweisung durch Lancelot eine galoppierende
Form mittelalterlicher Magersucht ausgelöst hatte. Ihre Familie hatte sie auf einer Barke aufgebahrt (mein Gott, wie war Tennyson
damit nur durchgekommen) und sie Lancelot gesandt mit einem Briefchen, dessen Inhalt dafür sorgte, daß er sich wie das letzte
Schwein fühlen mußte. Die andere, die Lady von Shalott, deren Name sich zufälligerweise mit Camelot
Weitere Kostenlose Bücher