Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
Vom Netzwerk:
das
verkraftet.«
    »Gerade weil sie so viel durchgemacht haben, wollte ich ihnen
die Wahrheit ersparen«, konterte Scorpio.
    »Und überhaupt geht es nicht um Selbstmord.« Er
hielt inne und schaute zurück aufs Meer. »Ich weiß,
dass sie da ist, sie und auch ihre Mutter. Ich spüre sie,
Scorpio. Frag nicht wieso oder warum, ich weiß einfach, dass
sie noch hier ist. Auf anderen Schieberwelten sind solche Dinge schon
vorgekommen, ich habe darüber gelesen. Hin und wieder holen sich
die Schieber einen Schwimmer, dann wird sein Körper restlos
zerlegt und in die organische Matrix des Meeres integriert. Den Grund
dafür kennt niemand. Aber es gibt Berichte von Schwimmern, die
hinterher ins Meer gegangen sind, und darin heißt es, sie
könnten die Verschwundenen ›spüren‹. Der Eindruck
soll viel stärker sein als bei den gespeicherten Erinnerungen
und Persönlichkeitsmustern, fast so, als würde man
Zwiesprache halten.«
    Scorpio unterdrückte ein Seufzen. Genau die gleiche Ansprache
hatte er vor sechs Monaten schon einmal gehört, bevor er Clavain
auf diese Insel gebracht hatte. Die Zeit des Alleinseins hatte
Clavain in seiner Überzeugung, Felka sei nicht einfach
ertrunken, offenbar nicht wankend gemacht.
    »Warum springst du dann nicht hinein und wartest ab, was
passiert?«, fragte er.
    »Das würde ich ja gern tun, aber ich habe
Angst.«
    »Dass der Ozean auch dich holen könnte?«
    »Nein.« Clavain drehte sich um und sah Scorpio
gekränkt an. »Natürlich nicht. Das kann mich
wahrhaftig nicht schrecken. Ich habe nur Angst, er könnte mich
nicht haben wollen.«

 
Hela, 107 Piscium

2727
     
     
    Rachmika Els war während ihrer gesamten Kindheit immer wieder
ermahnt worden, kein so ernstes Gesicht zu machen. Das hätte sie
auch jetzt wieder zu hören bekommen, wenn jemand beobachtet
hätte, wie sie im Zwielicht auf ihrem Bett hockte und zu
entscheiden suchte, was von ihren wenigen persönlichen Dingen
sie auf ihre Mission würde mitnehmen können.
    Und sie hätte mit genau dem entrüsteten Blick reagiert,
den sie für solchen Anlässe immer parat hatte. Nur
wäre sie diesmal noch mehr als üblich davon überzeugt
gewesen, im Recht zu sein. Denn obwohl sie immer noch erst siebzehn
war, hatte sie nun wirklich allen Grund, ernst zu sein und sich zu
fürchten.
    Sie hatte Kleidung für drei oder vier Tage in eine kleine
Tasche gepackt, obwohl die Reise wahrscheinlich sehr viel länger
dauern würde. Dann hatte sie ein Bündel mit Toilettensachen
dazugetan, die sie heimlich und ohne Wissen ihrer Eltern aus dem Bad
der Familie geholt hatte, außerdem einige trockene
Brötchen und ein kleines Stück Ziegenkäse, nur
für den Fall, dass es auf Crozets Eisjammer nichts zu essen
gäbe (oder vielleicht nichts, was sie essen wollte). Auch eine
Flasche mit Wasser aus der Reinigungsanlage wollte sie mitnehmen,
denn sie hatte gehört, dass das Wasser in der Nähe des Weges manchmal Dinge enthielt, von denen man krank wurde. Sehr
weit würde sie mit dieser einen Flasche zwar nicht kommen, aber
sie gab ihr immerhin das Gefühl, alles bedacht zu haben. Obenauf
lag das kleine, in Plastik verpackte Bündel mit den drei
winzigen Flitzerfossilien, die sie von der Ausgrabungsstätte
gestohlen hatte.
    Viel mehr konnte die Tasche nicht fassen. Sie war bereits
schwerer, als Rachmika erwartet hatte. Nachdenklich betrachtete sie
die armselige Kollektion, die noch auf dem Bett ausgebreitet war. Sie
hatte nur für einen der Gegenstände Platz. Was sollte sie
mitnehmen?
    Die Karte von Hela hatte sie von der Wand ihres Zimmers
abgenommen. Sie zeigte in verblasster roter Tinte den Weg, der
in vielen Windungen dem Äquator folgte. Die Karte war nicht sehr
genau, allerdings besser als alles, was sie in ihrem Notepad hatte.
Aber was spielte das für eine Rolle? Sie musste ohnehin die
Hilfe von Fremden in Anspruch nehmen, um den Weg zu erreichen,
und wenn die nicht wüssten, wohin, würde sie mit ihrer
Karte wohl auch nicht viel ausrichten.
    Sie schob die Karte beiseite.
    Daneben lag ein dickes blaues Buch mit goldenen
Metallbeschlägen. Darin hatte sie im Lauf der letzten acht Jahre
in mühsamer Kleinarbeit handschriftlich alles eingetragen, was
sie über die Flitzer herausgefunden hatte. Als Neunjährige
hatte sie – ein typischer Fall von Frühreife – zum
ersten Mal beschlossen, Flitzerforscherin zu werden. Man hatte sie
natürlich ausgelacht – wenn auch mit nachsichtigem
Wohlwollen –, aber das hatte sie in ihrer Absicht nur

Weitere Kostenlose Bücher