Offenbarung
auf das
Holz.
»Warum so spät, Scorp?«, fragte er milde.
»Ich brauchte einen Moment Zeit zum Nachdenken.«
Clavain sah ihn an und nickte. »Ich verstehe.«
Scorpio setzte sich. Man hatte ihm inmitten einer
größeren Gruppe von Kolonialvertretern einen Platz neben
Vasko freigehalten.
Clavain saß am Kopfende. Zu seiner Linken saß Blood,
der mit seinem mächtigen Körper doppelt so viel Platz
brauchte wie jeder andere. Er sah wieder einmal aus wie ein
Schläger, der sich gewaltsam Zugang zu einer geschlossenen
Gesellschaft verschafft hatte. In einem Huf hielt er ein Messer, mit
dem er sich die Nägel des anderen Hufs säuberte. Den
Schmutz ließ er einfach zu Boden fallen.
Ganz anders wirkte Antoinette Bax, die rechts von Clavain
saß. Scorpio hatte die Menschenfrau in seinen letzten Tagen in
Chasm City kennen gelernt. Damals war sie noch blutjung gewesen, kaum
mehr als ein Teenager. Jetzt war sie Anfang vierzig – immer noch
attraktiv, aber sicherlich voller im Gesicht und mit den ersten
Anzeichen von Krähenfüßen um die Augenwinkel. Gleich
geblieben war nur der Streifen Sommersprossen auf ihrem
Nasenrücken – den würde sie vermutlich mit ins Grab
nehmen. Er sah immer aus wie ein getüpfeltes Band, das man eben
erst aufgemalt hatte. Das Haar trug sie inzwischen länger,
seitlich gescheitelt und nach hinten gesteckt. Sie trug gerne
auffallenden Ethnoschmuck. Bax war früher eine erstklassige
Pilotin gewesen, doch in den letzten Jahren hatte sie kaum
Gelegenheit zum Fliegen gefunden. Darüber pflegte sie sich
scherzhaft zu beklagen, doch ansonsten engagierte sie sich mit
Begeisterung für die Kolonie. Inzwischen war sie als
Schlichterin sehr gefragt.
Antoinette Bax war verheiratet. Ihr Ehemann Xavier Liu war etwas
älter als sie. Sein schwarzes Haar, das er zu einem schlichten
Pferdeschwanz gebunden trug, zeigte bereits viele Silberfäden.
Ein sauber gestutztes Spitzbärtchen zierte sein Kinn. Vor etwa
fünfzehn Jahren hatte er bei einem Industrieunfall im Hafen zwei
Finger der rechten Hand verloren. Liu war ein begnadeter Mechaniker,
der besonders mit cybernetischen Systemen wahre Wunder vollbrachte.
Scorpio war immer gut mit ihm ausgekommen. Er war einer der wenigen
Menschen, die gar nicht wahrnahmen, dass er ein Schwein war, sondern
nur eine verwandte, technikbegeisterte Seele sahen, mit der sie reden
konnten. Xavier war inzwischen für den zentralen Maschinenpark
der Kolonie verantwortlich und verwaltete die begrenzten und
ständig weiter schrumpfenden Bestände an Servomaten, Fahr-
und Flugzeugen, Pumpen, Waffen und Shuttles: An sich war das ein
Schreibtischjob, aber wenn Scorpio zu ihm kam, steckte er
gewöhnlich bis zu den Ellbogen in irgendeinem Motor. Und neun
von zehn Malen hatte wenig später auch Scorpio schmierige
Hände.
Neben Blood saß die zarte, blasse Pauline Sukhoi, die
scheinbar ständig von einem Gespenst verfolgt wurde oder selbst
eines war. Ihre Hände und ihre Stimme zitterten
fortwährend, und sie war berüchtigt für ihre
wiederkehrenden Anfälle von depressivem Irresein. Vor Jahren
hatte sie im Auftrag eines der zwielichtigeren Honoratioren von Chasm
City an einem Experiment zur lokal begrenzten Manipulation des
Quantenvakuums gearbeitet. Durch einen Unfall war es zu einem
Übergang in einen anderen Materiezustand gekommen, der die
verschiedenen Möglichkeitsstränge gewaltsam auseinander
riss. Sukhoi hatte dabei ein schreckliches Erlebnis gehabt, das sie
fast um den Verstand bebracht hatte. Auch nach so vielen Jahren
konnte sie kaum darüber sprechen. Angeblich verbrachte sie
große Teile ihrer Zeit damit, Muster in Teppiche zu
sticken.
Nun folgte Orca Cruz, eine von Scorpios alten Gefährtinnen
aus Mulch- Zeiten. Sie hatte nur ein Auge, aber ihr Verstand
war so scharf wie eine Monofil-Sense. Sie war härter als alle
Menschen, die Scorpio kannte, Clavain nicht ausgenommen. Zwei seiner
alten Gegner hatten einmal den Fehler gemacht, Orca Cruz zu
unterschätzen. Scorpio hatte erst davon erfahren, als man ihm
von ihrem Begräbnis erzählte. Cruz trug eine schwarze
Lederkluft, vor ihr auf dem Tisch lag ihre Lieblingspistole, und sie
klopfte mit scharlachroten Fingernägeln demonstrativ auf den
Lauf mit den japanischen Ornamenten. Scorpio fand, dass sie ziemlich
dick auftrug, aber er hatte sich seine Partner noch nie nach ihren
Umgangsformen ausgesucht.
Außerdem waren noch ein Dutzend Mitglieder des
Ältestenrates im Raum, drei davon Schwimmer aus der Abteilung
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