Offene Rechnungen
der Vorstellung, sich mit hart gesottenen Verbrechern anlegen zu müssen, hatte er ein ganz flaues Gefühl im Magen bekommen.
»Na, gut. Dann bleibt uns noch das Zentrum. Oder wisst ihr mittlerweile, was Ralph da eigentlich wollte?«
Esther schüttelte den Kopf, was Juliane grimmig nicken ließ.
»Ja, das könnt ihr versuchen. Vielleicht kann Simon sich ja mit Ilona Specht unterhalten. Wetten, dass sie bei ihm sehr gesprächig wird?«
Die beiden Frauen funkelten sich voller Vorfreude an, während Simon sie misstrauisch musterte. Kaum war der sich anbahnende Streit zwischen ihnen durch seine Vermittlung beigelegt, verbündeten sie sich bereits wieder gegen ihn. Eine Tatsache, die Simon schon mit Unverständnis bei den Mädchen seiner Schulklasse registriert hatte. Frauen waren echt merkwürdige Wesen, schon als Mädchen.
»Wer bitte ist diese Ilona Specht?«
»Och, eine sehr attraktive Frau. Genau dein Typ. Du bevorzugst doch Frauen mit braunen Haaren.«
Simon sah Esther verblüfft an, während Juliane glucksend lachte.
»Oh, ja. Besonders diese zierlichen Frauen mit den großen, braunen Augen haben es Simon angetan«, ergänzte sie die Beschreibung der Oberkommissarin.
Esther stutzte einen Moment, dann leuchtete Verstehen in ihren Augen auf.
»Oh. Jetzt erklärt sich einiges für mich. Tja, dann.«
Simon erwog einen Protest, verwarf ihn aber sofort wieder. Die Frauen hätten es ihm sowieso nicht abgenommen, also ging er auf den Vorschlag mit der Angestellten des Zentrums ein.
»Erzähl mir mehr über diese Ilona. Was könnte Sie uns sagen, was uns weiterhilft?«, wollte er von Esther erfahren.
Die Polizistin erklärte es ihm und so versprach Simon, gleich am folgenden Tag zum Essen in die Cafeteria des Zentrums zu fahren. Es sollte ganz zwanglos zu einem Gespräch mit Ilona Specht kommen. Ganz wohl fühlte Simon sich nicht dabei, aber es galt schließlich entlastende Informationen für Ariane zu finden.
KAPITEL 5
Am nächsten Vormittag überraschte der April die Rendsburger mit einem sonnigen Frühlingstag, was auch Esthers Laune deutlich anhob. Ihre Mutter war zwar am Frühstückstisch übel gelaunt gewesen und hatte es wie gewohnt an ihrer Tochter ausgelassen, doch kaum saß Esther im Volvo und drehte das Radio auf, beflügelte der helle Sonnenschein in Kombination mit fröhlichen Klängen aus dem Radio ihre Laune. In der Inspektion in der Moltkestraße erwartete ihr Kollege sie bereits, der sich aus dem Archiv die alten Fallakten von Ralph Wiese hatte kommen lassen. Er wollte einige der Kandidaten aus dem Gewohnheitsverbrecherumfeld aufsuchen und befragen.
»Wir sollten die Möglichkeit eines Racheaktes nicht ganz ausschließen, auch wenn mein Instinkt mir etwas anderes sagt.«
Esther akzeptierte Franks Einschätzung, obwohl sie selbst dieser Möglichkeit rein instinktiv wenig Gewicht beimaß.
»Auf der anderen Seite gibt es Tobias Landau. Wir haben keinen Zweifel daran, dass er lügt. Haben Sie eine Vorstellung, wozu er nicht die volle Wahrheit sagen will?«, fragte Esther, die sich den Kopf darüber zerbrochen hatte, ohne einen Ansatz zu finden. Gespannt sah sie zu Reuter, der ein Lächeln aufgesetzt hatte.
»Sehr gute Frage, Frau Kollegin. Meiner Erfahrung nach stehen die Lügen immer im direkten Zusammenhang mit der Frage. Keine neue Erkenntnis, aber zu oft übersehen. Ich denke, Landau hat ein Interesse daran, den Grad seiner Bekanntschaft zu Ralph Wiese zu verschleiern. Vorschläge, wie wir den Schleier heben könnten?«
»Da sollten wir uns einfach die Vergangenheit von Landau ausführlicher ansehen, um mögliche Überschneidungen zum Leben von Ralph zu finden«, schlug Esther ohne Zögern vor.
Frank Reuter nickte zustimmend und erhob sich dann.
»Das übernehmen bitte Sie, Esther. Da Sie mit dem Leben von unserem ermordeten Kollegen gut vertraut waren, fällt Ihnen vermutlich schneller als mir eine solche Querverbindung auf. Ich fahre ins Zentrum und werde dort einen Kaffee in der Cafeteria trinken. Bis später.«
Frank wollte sich um eine fast nebensächliche Bemerkung aus dem Bericht des Mitarbeiters des Sicherheitsdienstes kümmern. Solche Kleinigkeiten erwiesen sich allzu oft als der Schlüssel zum gesamten Fall. Daher interessierte ihn das Licht in der Cafeteria in der Nacht vom elften auf den zwölften April sehr.
Verblüfft schaute Esther ihrem Kieler Kollegen nach, der mit einem Winken aus dem Büro verschwand. Sein Argument, wieso sie die Recherchen zu Landaus Vorleben übernehmen sollte,
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