Oksa Pollock. Die Unverhoffte
Möchtegernmagier, aber der Schock blieb – besonders bei der Erinnerung an die vielen Liter Gebräu voll Blut, die er ganz umsonst in sich hineingeschüttet hatte!
Diese Erkenntnis, zusammen mit seinem Hang zum Obskuren, verwandelte Tugdual in einen Menschen, der eine Gefahr für sich selbst darstellte und von dem sein Umfeld schließlich überfordert war. Also vertrauten seine Eltern den Jungen vor einem Monat Abakum an, der über die erforderlichen Fähigkeiten und Mittel verfügt, um Tugduals Leiden zu kurieren. Im Grunde genommen ist Tugdual kein schlechter Mensch, sonst hätte Abakum sich nicht seiner angenommen. Ich bin sicher, wie wir alle übrigens, dass Tugdual auf dem richtigen Weg ist.«
Oksa nickte und stieß einen langen Pfiff aus. Ihre Miene war besorgt.
»Was für eine schreckliche Geschichte! Aber was hat das alles mit mir zu tun, Papa?«
»Was es mit dir zu tun hat, du kopfloses Huhn«, sagte ihr Vater, »ist, dass man seine Macht niemals missbrauchen darf. Besonders, wenn es sich um Macht handelt, die zur Kategorie topsecret gehört. Lass dir das eine Lehre sein, und vertrau uns, wenn wir dir einen Rat geben. Okay?«
»Okay«, sagte Oksa, den Blick in die Ferne gerichtet.
Doch als sie am nächsten Morgen auf ihren Inlineskates zur Schule flitzte, den Kopf randvoll mit diesen ganzen Geschichten, begann sie zu träumen und sich vorzustellen, dass sie frei flog, ungehindert von den Blicken der anderen – diesen Von-Draußen, die nichts davon verstehen würden. Und plötzlich merkte sie, dass der Schwung ihrer Inliner zusammen mit ihrer Fähigkeit, sich in die Luft zu erheben, dazu geführt hatte, dass sie nicht auf, sondern in etwa dreißig Zentimeter Höhe über dem Bürgersteig fuhr!
»Wow, das ist echt der Wahnsinn! Aber vielleicht sollte ich lieber wieder auf den Boden der Tatsachen zurückkehren, ehe ich mir Ärger einhandle«, rief sie sich zur Vernunft.
Eine weise Entscheidung, die sie leider nicht lange durchhalten konnte … Beim Schuleingang stand der fiese Neuntklässler zusammen mit einer Bande von Jungen, die genauso »sympathisch« waren wie er.
»Die Woche fängt ja gut an«, murmelte Oksa vor sich hin. »Mama haut ab, ein Streit, ein Zusammenbruch, und jetzt auch noch dieser Hornochse! Schlimmer kann es gar nicht werden!«
Sie setzte sich auf die Bank auf der anderen Straßenseite, um ihre Inliner auszuziehen, und dachte währenddessen angestrengt nach: Es war höchste Zeit, sich eine Strategie auszudenken, um auf den Schulhof zu gelangen, ohne belästigt zu werden.
»Na, so was, da ist ja mein Lieblingszwerg!«, rief der Hornochse aus der Neunten und versperrte ihr den Weg, als sie versuchte, unauffällig zusammen mit einer Gruppe anderer Schüler durch das Tor zu gehen.
Ihr Plan, sich unbemerkt hineinzuschleichen, war offensichtlich fehlgeschlagen!
»Ich kann dich nicht ausstehen, weißt du?«, sagte der Junge mit feindseligem Blick und hauchte ihr dabei seinen warmen Atem ins Gesicht.
»Ich kann dich auch nicht ausstehen«, gab Oksa zurück und ging zu Plan B über.
Kaum hatte sie das gesagt, fixierte sie ihn mit ihren grauen Augen so intensiv, dass er unwillkürlich schauderte. Oksa lächelte im Stillen und ließ dann ihren harten Blick zu seiner Krawatte wandern, die sich sofort Millimeter für Millimeter um seinen dicken Hals zuzog.
Der fiese Neuntklässler glotzte Oksa dumm an und versuchte krampfhaft, den Finger zwischen die Haut und den Stoff, der ihn würgte, zu schieben. Je panischer er wurde, desto mehr schwollen die Adern an seinem Hals und an seinen Schläfen an. Es fiel ihm immer schwerer zu atmen. Mit tränenden Augen zerrte er verzweifelt an seinem Kragen, doch die Krawatte zog sich erbarmungslos enger.
Als Oksa endlich zufrieden war, ließ sie von ihm ab.
»Ich kann dich auch nicht ausstehen«, wiederholte sie mit einem letzten Blick auf den Jungen, der mit hochrotem Gesicht vor ihr stand.
Dann betrat sie erhobenen Hauptes den Schulhof.
Alles oder nichts
G
us lehnte an seinem weit geöffneten Schließfach und unterhielt sich angeregt mit einem wunderhübschen Mädchen, das Oksa nicht kannte. Er war so vertieft, dass er seine Freundin, die ihre Inlineskates in das Fach direkt neben seinem stellte, gar nicht bemerkte. Eingeschnappt ging Oksa gleich zum Klassenraum. Kurz darauf kam auch Gus.
»Hallo! Wie geht’s? Ich habe unterwegs bei dir geklingelt, aber dein Vater sagte, du seist schon losgegangen. Wo hast du gesteckt?«
»Ich bin kurz
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