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Oksa Pollock. Die Unverhoffte

Oksa Pollock. Die Unverhoffte

Titel: Oksa Pollock. Die Unverhoffte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Plichota
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vor uns auszubreiten. Würdest du anfangen, junger Mann?«
    Gus rutschte auf seinem Stuhl hin und her, nicht gerade erfreut, der erste Kandidat zu sein.
    »Mein Name ist Gustave Bellanger«, sagte er unsicher. »Ich bin erst vor ein paar Tagen zusammen mit meinen Eltern nach London gezogen. Ich bin eher mathematisch veranlagt. Ich mag Mangas und Computerspiele. Ich mache seit sechs Jahren Karate und spiele Gitarre.«
    »Mathematisch veranlagt? Das freut mich«, bemerkte der Lehrer. »Zum Nächsten.«
    Während die Schüler sich der Reihe nach vorstellten, betrachtete Oksa den Lehrer etwas genauer. Er war ein großer magerer Mann mit einer vornehmen, aber düsteren Ausstrahlung. Die zurückgekämmten braunen Haare hoben die feinen Fältchen, die sein Gesicht überzogen, und seine tiefschwarzen Augen hervor. Seine dünnen, verkniffenen Lippen wirkten wie aneinandergewachsen. Er trug einen schlichten schwarzen Anzug und ein bis oben hin zugeknöpftes anthrazitfarbenes Hemd. Sein hervorstehender Adamsapfel hüpfte bei jedem Wort auf und ab. Ein Detail zog Oksas Aufmerksamkeit besonders auf sich: Am rechten Mittelfinger trug der Lehrer einen wunderschönen Ring aus geflochtenem Silber. Er war mit einem schiefergrauen Stein verziert, der das Licht auffällig reflektierte. Ein beeindruckender Ring, zu groß für eine derart magere, fast schon knochige Hand.
    »Und nun zu dir, junges Fräulein, wir hören.«
    McGraw sprach diese Worte halblaut aus und fixierte Oksa dabei. Sie fühlte sich unwohl unter seinem harten, neugierigen Blick, es war, als würde ihr Innerstes schmerzen. Sie wollte tief einatmen, wie ihre Mutter es ihr beigebracht hatte, um sich zu entspannen, doch sie stellte erschrocken fest, dass irgendetwas in ihrem Brustkrob blockierte.
    »Ich heiße Oksa Pollock.«
    Erneut versuchte sie einzuatmen. Ein dünner Luftzug schaffte es, sich einen Weg zu bahnen.
    »Ich heiße Oksa Pollock und interessiere mich für Astro …«
    Tapfer versuchte sie, Luft zu holen, als wäre nichts. Doch vergeblich. Eine Luftblase blieb in ihrer Brust stecken. Eine riesige Luftblase, die sich nicht vertreiben ließ. Panisch zerrte Oksa an ihrem Krawattenknoten.
    »Ja, Oksa Pollock, ich glaube, wir haben deinen Namen verstanden. Wir hören …«, wiederholte der Lehrer, nun in einem viel ungeduldigeren Ton.
    Seine Stimme drang kaum zu ihr durch. Oksa erstickte, sie bekam keine Luft mehr und ihr Herz galoppierte wie ein wild gewordenes Pferd. Dazu quälten sie plötzlich solche Bauchschmerzen, als hätte sie einen heftigen Hieb in die Magengrube bekommen. Sie kämpfte noch einige Sekunden dagegen an, aber schließlich erfassten die Schmerzen und die Panik sie von Kopf bis Fuß. Oksa sah sich Hilfe suchend um.
    Ihre Mitschüler starrten sie an, begriffen jedoch offenbar nicht, in welcher Notlage sie sich befand. Und selbst wenn, was hätten sie schon tun können? Entkräftet klammerte sie sich an Gus’ Arm und sank zu Boden.

Ein schrecklicher Tag
    S
eit sie klein war, ging Oksa nach der Schule zu ihrer Großmutter. Dann redeten sie über alles, was sich im Lauf des Tages ereignet hatte. Manchmal auch von ernsteren Dingen, von Oksas Sorgen, ihrem Kummer oder davon, was ihr Freude machte. Als sie nach diesem schrecklichen Tag nach Hause gekommen war, war es in der unteren Wohnung wie meistens still gewesen.
    »Mama? Papa? Seid ihr da?«, hatte sie wider besseres Wissen gerufen. Natürlich waren sie nicht da, sie waren im Restaurant. Mitten in den Vorbereitungen für die Eröffnung.
    Mit einem Seufzer hatte sie ihre Schultasche unten an die Treppe geworfen und war nach oben zu Dragomira gegangen. Darauf hatte sie sich den ganzen Tag schon gefreut.
    Wie immer wurde sie von Dragomira mit Fragen bombardiert: »Und? Wie war’s? Erzähl, ich will alles haargenau wissen!«
    Dragomira hatte einen Nachmittagsimbiss mit Oksas liebsten Leckereien vorbereitet: frische Himbeeren, kleine Cookies und Kräutertee nach einer speziellen hauseigenen Rezeptur.
    Oksa ließ sich in ihren Lieblingssessel mit dem verschlissenen rosafarbenen Bezug fallen und betrachtete die Gläser, Schachteln, Fächer und Bücher in den Regalen, die Dragomira den ganzen Tag lang eingeräumt hatte.
    »Schön war’s, Baba, sehr schön«, sagte sie und täuschte Begeisterung vor.
    »Du siehst aber gar nicht gut aus, meine Duschka! Richtig erschöpft. War der erste Tag schon so anstrengend?«
    »Ich bin bloß am Verhungern«, sagte Oksa und biss gierig in einen leckeren

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