Olympos
heimgefaxt – und faxte selbst fort.
Daeman rief seinen Trupp zusammen, einschließlich Hannah, und sah zu, wie sie einer nach dem anderen aus den zune h menden Schatten des Platzes an der Westmauer verschwanden.
Er wusste, dass alle fort waren, dass das Strahl-Gebäude leer war, aber er musste nachsehen.
Mit dem Mittelfinger tippte er auf die Steuerung des Repeller-Tornisters in seiner Handfläche, stieg in die Höhe, umkreiste das leere Strahl-Gebäude, schaute durch den leeren Eingang in die Leere dahinter, umkreiste den leeren Felsendom und den leeren Platz und flog dann niedrigere, größere Kreise, überprü f te alle Punkte in allen vier Vierteln der Altstadt, wo seine Trupps die Verteidigungslinie ohne einen einzigen Verlust g e gen die Angriffe der Voynixe und Calibani gehalten hatten.
Er wusste, dass er verschwinden sollte – die Voynixe und Calibani strömten durch die alten, engen Straßen herbei wie Wasser in ein leckes Schiff –, aber er wusste auch, weshalb er noch blieb.
Der Stein, der auf ihn zugeflogen kam, riss ihm beinahe den Kopf ab. Das Radar des Kampfanzugs rettete ihn – es registrie r te das geworfene Objekt, das im Halbdunkel der Dämmerung unsichtbar war, übernahm die Tornistersteuerung, ließ Daeman Hals über Kopf herabsausen und richtete ihn nur Meter über dem Pflaster des Tempelbergs auf.
Er landete, aktivierte seine Stoßpanzerung und hob sein Ene r giegewehr. Alle Sinne seines Anzugs und all seine menschl i chen Sinne sagten ihm, dass die große, nicht ganz menschliche Gestalt, die im schwarzen Eingang des Felsendoms stand, kein bloßer Calibani war.
»Daemannnnnn«, stöhnte das Wesen.
Daeman ging mit erhobenem Gewehr näher heran, ignorierte den Feuerbefehl des Anzug-Zielsystems und bemühte sich, se i ne Atmung und seine Gedanken unter Kontrolle zu bringen.
»Daemannnnnn«, seufzte die übergroße amphibische Gestalt im Eingang. »Denkt, du willst Ihn dennoch täuschen. Und wenn nun dieser Caliban sich abmüht und ebenso leidet, möc h test du, dass ihm ein Leid geschieht?«
»Ich möchte, dass er stirbt«, rief Daeman. Er zitterte am ga n zen Leib vor altem Zorn. Er hörte das Scharren und Kratzen Tausender Voynixe und Calibani, die unter dem Tempelberg dahinhuschten und dahinhasteten. »Komm heraus und kämpfe, Caliban.«
Der Schatten lachte. »Denkt, der Mensch hofft währendde s sen, dass Schlechtes sich manchmal bessert, wie Warzen ve r schwinden und Wunden, mit Schleim behandelt, heilen, stimmt ’ ssssssss?«
»Komm raus und kämpfe mit mir, Caliban.«
»Stellt sich vor: Wird er sein Gewehr weglegen und Seinen Diener in fairem Kampf treffen, Hand und Klaue gegen Hand und Klaue?«
Daeman zögerte. Er wusste, dass es keinen fairen Kampf g e ben würde. In zehn Sekunden würden tausend Voynixe und Calibani hier auf dem Tempelberg sein. Er konnte das Rascheln und Kratzen auf dem Platz an der Westmauer und auf den St u fen bereits hören. Er hob das Gewehr, schaltete die Zielvorric h tung auf Automatik und hörte den Ziel-bestätigt-Ton in seinen Kopfhörern.
»Denkt, Daemannnnnn wird nicht schießen, neeiiin«, stöhnte Caliban in den Türschatten des Felsendoms. »Er liebt Caliban und seinen Herrn Setebos als Feinde zu sehr, um – Oh! Oh! – plötzlich einen Vorhang über ihre Welt zu ziehen, stimmt ’ sssss? Neeeiiiin? Daeman muss auf einen anderen Tag warten, um den Wind die Säule aus Staub schultern zu lassen, das bewegl i che Haus des Todes zu treffen und … «
Daeman feuerte. Er feuerte erneut.
Vor ihm sprangen Voynixe auf die Mauern des Tempelbergs. Hinter ihm huschten Calibani die Stufen des Tempelbergs he r auf. Es war jetzt dunkel in Jerusalem, selbst der Schein des blauen Strahls, der eintausendvierhunderteinundzwanzig Jahre ununterbrochen geleuchtet hatte, war erloschen. Die Ungehe u er hatten die Stadt wieder in Besitz genommen.
Daeman brauchte nicht durch das Thermovisier der Waffe zu schauen, um zu wissen, dass er sein Ziel verfehlt hatte – dass Caliban fortqtet war. Er würde dem Wesen an einem anderen Tag oder in einer anderen Nacht gegenübertreten müssen, in einer Situation, die für ihn weit weniger vorteilhaft war als die heutige.
Seltsamerweise war Daeman insgeheim, im tiefsten Innern, froh über diesen Gedanken.
Voynixe und Calibani sprangen über die alten Steine des Te m pelbergs auf ihn zu.
Eine Sekunde, bevor ihre Klauen ihn erreichten, freifaxte D a eman heim nach Ardis.
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Siebeneinhalb Monate nach Iliums
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