Omka: Roman (German Edition)
Velinka schon: »Ich habe den Eindruck, Frau Rampelhoff ist gerne für sich und hat wahrscheinlich viel zu tun, da ist es nicht verwunderlich … wir sprechen nicht sehr viel miteinander, und das Einzige, was mich bis jetzt wirklich verwundert, ist, sie spricht nicht über das Kind, gar nicht.«
Josef dachte nach. Mittlerweile schrie das Kind so laut, dass man fast kein gesprochenes Wort mehr verstehen konnte, und Velinka wiegte es immer schneller, sagte etwas in einer fremden Sprache und suchte jetzt doch den Schnuller.
Plötzlich stand Omka in der Küche. Ehe diese sich versehen hatte, nahm sie Velinka das Kind aus den Armen, und es hörte sofort auf zu schreien.
»Guten Morgen«, sagte sie fröhlich.
Josef sah zu Boden und schämte sich.
Kapitel X Das Wasser
Wasser in allen Farben und Formen, dünn gefroren und durchsichtig wie eine Glasscherbe, warm, klar und sauber, Eis. Seen, Pfützen, Abwasser, Bäche, Regen, der Wasserhahn, das Meer, alles.
Omka war leicht zumute. Sie saß auf dem Badewannenrand und ließ sich Wasser ein. Josef hatte sich irgendwo im Haus zurückgezogen und las.
»Er versteckt sich«, dachte Omka. Sie schaute dem Wasser zu. In ihr war es leer, wie eine ausgetrunkene Flasche sich fühlt, so fühlte sie sich, aber traurig war sie nicht. Sie fragte sich, was sie sich überhaupt dachte und warum sie es sich dachte, was denn ihr Ureigenstes war, das nur sie hatte und niemand sonst, weshalb sie mit Josef lebte, ein Kind hatte, warum oder ob sie ihn überhaupt liebe, was denn überhaupt Liebe sei. Sie sah dem Wasser zu. Jonas war in seinem Bettchen und unruhig. Er bekam einen neuen Zahn und schlief wenig und weinte viel. Wenn die Kinderfrau am Vormittag um acht kam, stand Omka meist schon seit Stunden in der Küche, eine Tasse Tee in der Hand und den Kleinen auf dem Arm, den sie hin und her wiegte. Über ihre Schulter, dort, wo sein Köpfchen ruhte, hing eine Windel, und es war wie eine Erlösung, wenn sie Velinka das Kind in die Arme legte und in den ersten Stock ging, um sich hinzulegen. Meist verschief sie die Zeit, in der die Kinderfrau da war. Aber was für kostbare Stunden waren das jetzt doch. Wenn sie aufstand, war es zwölf Uhr, sie fühlte sich einigermaßen ausgeruht und war nicht mehr so wütend auf das schreiende Kind. Seit Jonas seinen ersten Zahn bekommen hatte, war Omka manchmal mitten in der Nacht bei ihm am Bettchen gestanden und hatte zugesehen, wie Jonas so lange schrie, bis das kleine Köpfchen rot wurde. Aber jetzt gerade schlief er, und Omka ließ sich schnell ein Bad ein.
Josef stand im Türrahmen und sah ihr zu. Sie hatte nicht bemerkt, dass er da war. Seit der letzten Nacht fühlte er sich erlöst, weil er ihr etwas getan hatte, und schämte sich dafür und war verwundert über sein leichtes Gefühl. Seither dachte er nicht mehr daran, dass Omka ein gemeines, strategisch handelndes Weibsstück war. Offensichtlich war sie ihm nicht einmal böse und hatte auch kein Wort über das verloren, was geschehen war. War das nicht ein Zeichen, dass sie wirklich anders war als andere Frauen? Welche Frau konnte schon der Versuchung widerstehen, die Schuld des anderen auszukosten, es sich darin behaglich zu machen und das schlechte Gewissen für die eigenen Zwecke zu verwenden, wenn er sie schon hatte? Wenn sie nur darauf aus wäre, ihn irgendwie in die Schuld zu bringen, innerhalb derer er ihr gehören würde, hätte sie den Vorfall der letzten Nacht für diesen Zweck verwendet. Er sah ihren Rücken, durch dessen Haut sich die Wirbel zu bohren schienen, wie sie sich vorbeugte, mit der Hand die Temperatur des Wassers prüfte und sie daraufhin schüttelte, dass die Wassertropfen auf den Badezimmerspiegel spritzten. Dann sah sie auf und stand langsam auf. Es verwunderte ihn, dass sie sich nicht umdrehte, denn er glaubte, sie habe ihn bemerkt. Sie schaute geradeaus, wo aber nur die geflieste Wand und sonst nichts sonderlich Interessantes auszumachen war. Ohne sich umzudrehen, machte sie einen langsamen Schritt rückwärts, ging leicht in die Knie und sah etwas nach oben, so als würde sie versuchen, etwas aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Da war aber nichts. Bald würde das Wasser überlaufen und das Badezimmer überschwemmen. Omka starrte offenbar auf einen Punkt über dem Wasser, von dem wegen seiner Temperatur dünne Dunstschleier aufstiegen wie lange Finger, die nach oben krochen. Gerade wollte Josef den Mund aufmachen und »dein Bad läuft über« sagen, da
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