On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)
vor der Madonna kniete und ganz woanders war. Ich ging weiter. Bank, Bank, Säule, Fenster. Geländer, Lautsprecher, Mikroständer. Der Raum hatte etwas von der Aula einer Gesamtschule. Zwei Flachbildschirme standen an den Seiten, mit denen wahrscheinlich die Nummern der zu singenden Lieder aus dem Gesangbuch angezeigt wurden. Hey, Flachbildschirme! Die Kirche ist nämlich doch nicht so unmodern, wie es immer heißt. Mit ihren Flachbildschirmen lockt sie die »Kids« wieder in den Gottesdienst, und wenn sie brav waren, dürfen sie sich auch schon mal einen Jesuszeichentrickfilm auf einem dieser neumodischen Dinger ansehen. Der Pfarrer ist da gar nicht so.
»Ja. Jaja, dit kann schon sein«, kam es wieder aus dem Beichtstuhl. »Aber kannste mir jetzt mal von meinen Sünden freisprechen. Dit wär echt, icksarema, richtig geil.«
Kerzenständer, Blumengesteck, Bank. Wenn so der katholische Himmel aussah, konnten sich die Katholiken den Stress mit dem Dogma auch sparen und sich gleich im alten Tempelhofer Flughafengebäude in die Wartehalle setzen.
»Ick wollte mich da nur absichern, weil, wer weiß, was passiert. Ick hab dit ja schon mal erlebt: Auf einmal haben andere Leute das Sagen, und die erzählen dir dann, was du dein Leben lang falsch gemacht hast. Und da wollt ick jetze schon mal vorsorgen, falls ick morgen wieder feindlich übernommen werde, nur halt diesmal von Gott statt vom Westen. Kann ja sein. Weeß ja keener. Gibt ja alles.«
Warum brüllt der Typ denn so? Eine ähnliche Geringschätzung der eigenen Privatsphäre kannte ich nur von Anna, wenn sie hörbaren Männerbesuch hatte.
Ich war mittlerweile einmal ganz herumgegangen, ohne irgendeine Besonderheit entdeckt zu haben. In dieser Verwaltungsbauatmosphäre alte Kunst oder heilige Leichenteile zu entdecken war ähnlich aussichtslos, wie mit einer Castingshow zu dauerhafter Berühmtheit und künstlerischer Wertschätzung zu gelangen. Was sich wirklich gut in die Architektur gefügt hätte, wäre eine holzgetäfelte Telefonkabine, wie sie in den Achtzigerjahren in den Postämtern standen, mit einem durchgebrochenen Kugelschreiber an einer Kette und herausgerissenem Telefonbuch.
»Alta, schnallst du dit nich?«, sagte der Beichtling. »Ick will mich hier nich rechtfertigen müssen. Ich will einfach nur, dass du deinen Spruch sagst, damit ich meine Sünden los bin. Ich hab nämlich keinen Bock, nach dem Tod irgendwie n Dreizack in den Arsch zu kriegen, sarickma, verstehste? Und wer weiß, was da in der Hölle noch für ne Leute rumsitzen. Am Ende muss ick da mit Erich Mielke oder Klaus Kinski abhängen. Na, hab ick da Bock drauf?«
Das Mütterchen hatte mittlerweile ausgebetet und schaute erstaunt in Richtung Beichtstuhl.
»Weeß icke! Keene Ahnung, ob es einen Gott gibt. Ich weiß ja nicht mal, ob dit mit die Abtreibung überhaupt Sünde gewesen ist. Wenn nicht, dann sitz ich hier umsonst. Das wäre jetzt nicht so schlimm, die zehn Minuten kann ich gerade noch investieren. Aber wenn doch, dann könnt ich ja nochn Problem kriegen.«
Jetzt wurden die Intervalle kürzer. Offenbar war nun der Pfarrer vom Vortrags- in den Diskussionsmodus gewechselt, war aber immer noch nicht zu hören. Stattdessen donnerte die Bauarbeiterstimme des anderen bis in die Sakristei.
»Bereuen, bereuen, wat denn bereuen? Ich dachte, das ist hiern Geschäft. Ick zahle dir zehn Euro, kannste dir n neuen Kaftan fürn Gottesdienst kaufen, und du streichst mir meine Punkte in eurem Katholiken-Flensburg. So läuft dit doch bei euch, oder nich? Deswegen hat Luther das mit dem Beichten doch abgeschafft. Also ich finde ja: Luther, schön und gut. Aber das mit dem Sündenvergeben gegen Geld war doch eigentlich ne ganz schnieke Sache. Also, find icke. Is meine Meinung.«
Der Pfarrer brummte irgendetwas Unverständliches.
»Weißte, ihr Kirchenvögel, ihr tut immer so schlau mit eurer Weisheit und eurer Bildsprache und alles. Du erzählst mir hier, wie ich leben soll, aber was ist denn mit dir? Ihr Pastoren habt auch ganz schön Dreck am Stecken. Willst du mir erzählen, dass du noch nie ne Frau angefasst hast? Darfste nich, haste aber trotzdem, hab ich recht? Oder wollen wir mal über Kinder reden, Meister? Da wär ick an deiner Stelle mal ganz vorsichtig, Keule, aber ganz vorsichtig.«
Erst jetzt wurde auch der Pfarrer lauter. Trotzdem verstand ich nicht mehr als
»Waffafa … boffa … huffa … sosso-hussassa!«.
Die alte Dame schaute erschrocken, bekreuzigte sich und
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