Operation Ocean Emerald
Kopf wieder auf den Teppichboden der Suite sinken und schluckte schwer. Seine Unterlippe begann zu zittern. Nie zuvor hatte er sich so einsam und verlassen gefühlt. Seine Eltern würden sich Sorgen machen, wenn er nicht nach Hause käme. Und dann würde Niko ihnen erzählen, was vorgefallen war.
Doch bis dahin konnte auf dem Schiff schon wer was passiert sein …
Was würde sein Vater, der Profi, in einer solchen Situation tun? Zumindest würde er sich nicht der Verzweiflung hingeben. Aaro biss sich auf die Lippe. Noch war nichts verloren, außer der Freiheit. Und die konnte er auf irgendeine Weise wiederbekommen. Er musste jetzt nur versuchen, sich zu beruhigen und klar zu denken.
Da die Zwischentür einen Spaltbreit offen stand, hörte er, wie die Tür der Kabine aufgemacht wurde. Aaro erschrak. Jemand kam mit der Schlüsselkarte herein. ImZimmer nebenan ging das Licht an. Man hörte gedämpfte Männerstimmen. Aaro drehte den Kopf, so weit es ging, um durch den Türspalt ins Nebenzimmer spähen zu können.
Auf dem Fußboden lag eine Umhängetasche, in die zwei Hände gerade mit langsamen Bewegungen einen offenbar schweren Klumpen hineinlegten. Mehrere bunte Kabel hingen an dem Ding.
Sprengstoff!
Aaro traute seinen Augen nicht. Waren das Terroristen? Auf jeden Fall hatten sie tatsächlich etwas Schreckliches vor. Womöglich wollten sie das Schiff in die Luft sprengen. Und er war der Einzige, der davon wusste!
Die Männer waren einige Minuten lang mit irgendetwas beschäftigt, dann verschwanden sie wieder.
Voller Panik sah sich Aaro, so gut es ging, in der Kabine um. Rechts von dem breiten Bett befand sich eine Sitzgruppe. Auf der Kommode stand als Zierrat eine Schiffslaterne aus Messing, sie sah fast genauso aus wie die Lampe, die in Omas Laden in Porvoo zwischen all dem anderen Gerümpel stand. Aaro half seiner Großmutter manchmal, die Truhen, Stühle und Tische hin und her zu schieben, wenn einmal der seltene Fall eintrat, dass ein Kunde sich in den zwielichtigen, verrauchten Laden verirrte, um etwas zu kaufen. Jetzt sehnte sich Aaro geradezu dorthin.
Er sah erneut zum Panoramafenster, das vom Boden bis zur Decke reichte. Auf dem Balkon davor standen zwei gepolsterte Liegestühle und ein Tisch. Die niedrig stehendeSonne wurde mit einem hellen Blinken vom Fenster eines Hauses auf der Insel Suomenlinna, an der das Schiff gerade vorüberglitt, reflektiert. Die Fahne im Garten des Hauses wehte fast waagrecht. Der Wind hatte zugenommen.
Aaro gab sich Mühe, einen vernünftigen Gedanken zu fassen, aber die immer stärker werdende Angst machte ihm das Denken schwer. Der Mann mit dem Seidentuch hatte ihm das Handy abgenommen, aber irgendwann würde Niko alles Aaros Vater erzählen. Und dann würde sich der Knoten lösen. Daran musste er einfach glauben.
»Verehrte Gäste …«
, schallte es aus dem Kabinenlautsprecher. Aaro fuhr zusammen. Die Tonqualität war so gut, dass er das Gefühl hatte, der Sprecher stünde direkt neben ihm im Zimmer.
»Hoffentlich ist Ihr Tag in Helsinki angenehm verlaufen. Wir befinden uns nun auf der Fahrt nach St. Petersburg, wo wir morgen früh um acht Uhr Ortszeit eintreffen werden. Wir bitten Sie, daran zu denken, dass um drei Uhr früh die Borduhren um eine Stunde vorgestellt werden. Und nun möchte ich Ihnen allen noch einen wunderschönen Abend wünschen.«
Wieder begann Panik in Aaro aufzusteigen, aber er kämpfte sie mit aller Gewalt nieder.
Es war lächerlich, auch nur daran zu denken, die Terroristen in ihren Absichten behindern zu können, schließlich konnte er sich nicht einmal bewegen. Und das Schiff entfernte sich immer weiter von allem, was er kannte, von allem, was Sicherheit verhieß.
Aaro dachte sehnsüchtig an seine Mutter, an seinen Vater, an Oma, die rauchend auf der Veranda saß, an sein Zimmer und seine Sachen … Sogar an die Schule zu denken war jetzt tröstlich. Es gefiel ihm gut in Brüssel, die Stadt war geheimnisvoll und faszinierend, die Heimatstadt von Hergé, des Zeichners von
Tim und Struppi
. Das einzige Problem bestand darin, dass er sich nicht so frei bewegen konnte wie in Porvoo. Er beneidete die finnischen Kinder, die ihre Freunde besuchen oder selbstständig einen Abstecher zum Kiosk oder anderswohin machen konnten. Vielleicht wurde er von ihnen darum beneidet, dass er alleine flog und am Wochenende manchmal nach Paris oder Amsterdam fuhr, weil man von Brüssel aus gerade mal zwei Stunden dorthin brauchte.
Aaro merkte, dass er
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