Opfermal
fragte der Sheriff.
»Nein«, sagte Edmund. »Aber ich erinnere, dass er wiederholt sagte, er wolle seinen schwarzgebrannten Schnaps eines Tages patentieren lassen und vermarkten. Diese Bewegung, das Zeug hier bei uns legalisieren zu lassen – wie hieß es gleich noch?«
»Absinth.«
»Absinth«, wiederholte Edmund. »Tja, vielleicht hatte der Alte dasselbe im Sinn. Vielleicht war er seiner Zeit einfach voraus.«
»Sieht mir alles ziemlich harmlos aus«, sagte der Sheriff und lachte. »Er hat es in so kleinen Mengen hergestellt, dass er es eindeutig nicht vertreiben wollte. Himmel, wenn ich hergehen und jeden Hinterwäldler jagen würde, der sich seinen Schnaps für den Eigenbedarf brennt, dann wäre ich garantiert um einiges schlanker.«
Edmund tat, als würde er lachen.
»Und Scheiße, das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann, ist, dass ich die verdammte Staatspolizei und die Drogenfahndung am Hals habe. Soviel ich weiß, kann man einen Toten ohnehin nicht vor Gericht bringen. Ich kannte Ihren Großvater nur flüchtig über Rallys Neffen. Von diesem Quatsch hier abgesehen schien er mir ein aufrechter Bürger zu sein. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich wäre froh, wenn sich die ganze Geschichte einfach von allein erledigen würde.«
»Ich auch«, sagte Edmund und lächelte.
Edmund unterschrieb ein paar Papiere, die dem Sheriff erlaubten, Claude Lamberts Bücher unbegrenzt lange zu behalten. Er konnte sie in keinen direkten Zusammenhang mit der illegalen Absinth-Produktion bringen, erklärte er, da sie hauptsächlich von Botanik und allgemeiner Chemie handelten. Dennoch hielt er es für das Beste, wenn Edmund sie freigab für den Fall, dass ihn der ganze Mist noch einmal einholen sollte. Claude Lamberts Notizbücher erwähnte er nicht.
Rally muss sie genommen haben , dachte Edmund. Er versicherte dem Sheriff, die Ermittlungen nach besten Kräften zu unterstützen, und erlaubte dem fetten Hitler-Double und ein paar von seinen Gestapoleuten sogar, einen letzten Blick in den Keller zu werfen. Und dann »erledigte« sich die Geschichte in den folgenden Wochen zu Edmunds großer Überraschung tatsächlich einfach.
»Ich möchte dich persönlich sprechen«, sagte Edmund am Tag nach der Beerdigung am Telefon zu Rally.
»Wegen deines Treffens mit dem Sheriff?«, erwiderte Rally. »Du hast ihm aber nicht gesagt, dass ich auch in die Sache verwickelt war, oder?«
Auch wenn Rally inzwischen über achtzig war, hatte Edmund bei seiner Rückkehr aus dem Irak mit Überraschung festgestellt, wie zerbrechlich und dürr er seit ihrer letzten Begegnung drei Jahre zuvor geworden war. Und er wirkte auch nervös und scheu – seine einst hellen, freundlichen Augen waren ganz groß und rosa und scheinbar unfähig, Edmunds Blick lange zu halten.
»Ich habe ihm nichts gesagt«, sagte Edmund. »Mach dir darüber keine Sorgen. Aber ich möchte über den General mit dir sprechen.«
»Über wen?«
Edmund schwieg einen Moment lang, dann flüsterte er: » C’est mieux d’oublier.«
Diesmal war es Rally, der schwieg.
»Wann kommst du?«, fragte der alte Mann schließlich.
»Jetzt.«
»Klingt logisch«, sagte Rally. »Es war wohl nur eine Frage der Zeit.«
Edmund bemerkte, dass die Anspannung in seiner Stimme verschwunden war – er klang wieder mehr wie der Rally, den er von früher kannte. Doch ehe Edmund antworten konnte, legte Rally auf.
Zwanzig Minuten später traf er bei Rally ein.
Der Alte lebte allein in einem doppelt breiten Wohnwagen auf – wie er oft prahlte – vier Hektar »erstklassigem Farmland.« Der größte Teil des Landes war jedoch nicht kultiviert, und der Wohnwagen selbst stand rund hundert Meter von der Straße zurückversetzt vor einer dichten Baumgruppe. Solange Edmund denken konnte, hatte Rally gesagt, dass er sich eines Tages sein Traumhaus dort bauen würde. Und es war nicht so, als hätte er es sich nicht leisten können, wie Claude Lambert immer sagte. Aber aus irgendeinem Grund schien es der alte Mann nie sehr eilig zu haben, aus seinem Wohnwagen zu kommen. Edmund hatte den Verdacht, es lag daran, dass Rally nicht wusste, wozu er noch ein Haus brauchte, da er sowieso immer bei den Lamberts herumhing.
Edmund parkte seinen Pick-up neben Rallys, und seine Scheinwerfer versprengten die mehr als zwei Dutzend Katzen in alle Richtungen, die der Alte zwischen dem Schrott, von dem sein Grundstück übersät war, frei herumlaufen ließ – alte Autoteile, hauptsächlich, darunter die
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