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Opferschrei

Opferschrei

Titel: Opferschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lutz
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Ein anderer, ein härterer Mensch. Er hatte eine Tür durchschritten und stand jetzt vor einer zweiten. Ob er sie öffnete, war seine Entscheidung.
    »Ich schätze, jetzt heißt es Abschied nehmen«, sagte Wilde.
    Tom Wilde, der gut zu ihm gewesen war und ihm ein Handwerk – eine Kunst – gelehrt hatte. Sein Mentor und einziger Freund.
    Seine größte Gefahr.
    »So ist es«, sagte Luther.
    Weder Wilde noch Luther kehrten je nach Hiram zurück. Milford Sands Ford Fairlane wurde zwischen ein paar Pappeln abseits des Highways außerhalb der Stadt gefunden. Es wurde angenommen, dass Luther die Sands ermordet hatte und mit dem Wagen geflohen war. Doch ohne Luther waren jegliche Überlegung, wie es zu den Morden gekommen war, nur Spekulation, und Luther wurde nie wieder gesehen.
    Tom Wildes alter Pick-up wurde neben der kaputten Hütte in der Nähe des Flussufers gefunden. Eine Woche später entdeckte man sein gekentertes Boot im Schilf fünf Meilen stromabwärts.
    Man nahm an, dass er Angeln gewesen war, seinen Kopf gestoßen hatte, als er aus dem Boot gefallen war, und ertrunken war.
    Gelegentlich forderte der Fluss auf diese Weise ein Leben.

41
    New York, 2004.
    Es war einfach gewesen herauszufinden, wo er wohnte. Er stand im Telefonbuch.
    Es war das Erste, was Anna eingefallen war, trotzdem war sie überrascht gewesen, Quinns Namen, Adresse und Telefonnummer dort zu finden. Es war beunruhigend, wie einfach es gewesen war. Als ob er auch in den Gelben Seiten unter Vergewaltiger stehen könnte.
    Und hier war sie nun an diesem Morgen, nicht an der Juilliard mit ihrer Bratsche, sondern auf der gegenüberliegenden Straßenseite von Quinns Wohnung mit ihrer Pistole.
    Was tut so ein nettes Mädchen wie du hier?
    Sie wusste es selbst nicht so recht.
    Anna ließ sich im Moment ausschließlich von ihren Emotionen leiten, und das wusste sie. Es war nicht klug. Genau genommen war es sogar völlig bescheuert, was sie hier tat. Aber irgendetwas in ihr zwang sie dazu; ihm zu widerstehen hätte bedeutet, sich gegen etwas aufzulehnen, das sie stärker im Griff hatte als sie sich je hätte vorstellen können. Auch das war beunruhigend – dass Menschen von etwas in sich selbst gefangen genommen und kontrolliert werden konnten. Das war vor allem deshalb so verstörend, weil es zum Teil erklärte, warum Quinn sie vergewaltigt hatte, es entschuldigte ihn beinahe.
    Es gibt keine Entschuldigung für das Böse. Es muss …
    Da kam Quinn aus seinem Wohnhaus!
    Anna wurde schwindelig; zum ersten Mal seit Jahren sah sie das Monster ihrer Erinnerung leibhaftig vor sich. Er war groß, aber nicht so groß wie in ihren angsterfüllten Gedanken und grauenhaften Träumen. Sie kannte größere, bedrohlicher wirkende Männer. Der Vater ihrer Freundin Agatha und Professor Fishbien an der Juilliard zum Beispiel. Aber Quinn sah so aus wie das, was er war – ein Verbrecher, ein Vergewaltiger, ein Lügner. Nicht, dass er nicht anständig angezogen war, in braunen Hosen und einem hellbraunen Sakko. Er trug sogar eine Krawatte.
    Sein Schafspelz …
    Als Quinn sein Sakko zuknöpfte, erhaschte Anna einen Blick auf einen Lederriemen. Sie wusste, dass er Teil eines Schulterholsters war.
    Ich hab auch eine Pistole! Ich hab eine Pistole, du Mistkerl!
    Quinn blickte hinauf in den Himmel, als ob er sehen wollte, ob es regnen würde, dann ging er los. Er hatte einen Gang, der schwerfällig und athletisch zugleich war, entspannt, aber bereit, jederzeit blitzschnell zu reagieren. Er wirkte freundlich, doch gleichzeitig auch gefährlich, ein Mann, der über einen grausamen Witz lachen konnte. Anna fing an, ihm auf der anderen Straßenseite mit einigem Abstand zu folgen.
    Quinn ging nur einige Blocks weit und betrat dann ein Restaurant, in dem er zweifelsohne frühstücken würde.
    Anna beschloss, auf ihn zu warten.
    Sie fand einen guten Platz auf der anderen Seite der Straße und zog sich in eine dunkle Nische in der Mauer eines Bürogebäudes zurück. Kaum einer der vorbeieilenden Passanten nahm Notiz von ihr. Wenn doch zufällig jemand einen Blick auf sie warf, war sie nur eine junge Frau, die auf eine Freundin oder ihren Freund wartete oder ihre Nerven beruhigte, bevor sie zu einem Vorstellungsgespräch ging. Sie war wie Tausend andere, die in der Stadt ihrer Beschäftigung nachgingen, geschäftlich oder privat.
    Trotzdem hatte Anna das Gefühl, dass man sie anstarrte, vielleicht wegen der Pistole in ihrer Handtasche. Sie tat so, als wäre sie gelangweilt. Ab und zu

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