Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Opferschrei

Opferschrei

Titel: Opferschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lutz
Vom Netzwerk:
zu dem großen Spiegel neben der Tür.
    Sie lächelte ihrem Spiegelbild zu, drehte sich nach links und nach rechts, bevor sie sich ganz umwandte und über ihre Schulter schaute, so als ob sie ihrem Geliebten zum Abschied einen letzten Blick zuwerfen würde.
    Sie zog die Jacke wieder aus und legte sie zurück auf die Armlehne des Sofas. Ein Geschenk von Ron? Das war die einzig mögliche Erklärung. Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er sich in der Boutique so aufgespielt hatte und beinahe ausgerastet war, und nun wollte er es wiedergutmachen. Das würde zu ihm passen. Er war zwar ein Hitzkopf, aber er konnte auch ganz lieb sein.
    Sie stemmte ihre Hände in die Seiten und betrachtete die Jacke. Wie sollte sie reagieren? Was würde Ron erwarten, wenn er zur Tür hereinkam? Vielleicht war es besser, sie in den Schrank zu hängen, sich dumm zu stellen und ein Spiel daraus zu machen? Die Art von Spiel, wie sie sie gerne spielten. Sie könnte die Jacke aber auch aufs Bett legen und ihn sie finden lassen. Das könnte interessant werden. Sie würde ihm ihre Dankbarkeit zeigen und sich selbst zum Geschenk machen. Das alte Spiel.
    Sie hörte ein leises Geräusch vor der Wohnungstür, dann drehte sich ein Schlüssel im Schloss.
    Die Tür ging auf und ihre Möglichkeiten schwanden, als Ron in die Wohnung trat.
    Zuerst bemerkte er sie und die Jacke nicht, als er die Tür hinter sich zumachte und verriegelte. Erst als er sich umwandte, sah er sie. Sofort wanderte sein Blick zum Sofa, wo die Jacke lag. Er schien wirklich überrascht. Aber sie wusste, dass er, wenn nötig, sehr überzeugend schauspielern konnte, und seine Überraschung nur geheuchelt war.
    »Ist das nicht …«
    »Du weißt, dass sie es ist«, unterbrach sie ihn lächelnd.
    »Du bist noch einmal hingegangen und hast sie gekauft ?« Sie konnte sehen, wie seine Verwirrung in Wut umschlug. In ihrem Kopf schrillten die Alarmglocken.
    »Natürlich nicht. Du weißt, dass ich sowas nie tun würde!«
    »Woher soll ich das wissen?«
    »Weil du die Jacke gekauft und dort aufs Sofa gelegt hast, damit ich sie gleich finde, wenn ich heimkomme.«
    Mit einer heftigen Bewegung zog er an seiner Krawatte, sodass sie ihm locker um den Hals hing. Der Anblick erinnerte sie an einen Galgenstrick. Dann reckte er sein Kinn und öffnete den obersten Hemdknopf. »Und warum zur Hölle hätte ich das tun sollen?«
    Marcy war völlig perplex und suchte nach Worten. »Ich … äh … ich weiß nicht.«
    Vielleicht, weil du mich liebst. Deine Augen und deine pulsierende Vene an der Schläfe sagen mir aber, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt ist, um dich daran zu erinnern.
    »Du hast gedacht, es wäre ein Geschenk von mir?« Er zog das kurze Ende der Krawatte aus der Schlaufe und ließ sie locker von seinem Hals baumeln. Fast, als hätte er sie dort bereitlegt, damit er sie parat hatte, falls er sie strangulieren wollte.
    »Was hätte ich denn sonst denken sollen? Ich kam von der Arbeit heim und da lag die Jacke, von der du wusstest, dass ich sie gern gehabt hätte.«
    »Und die wir nicht gekauft haben.«
    »Du hättest deine Meinung ändern können.«
    »Ich habe meine Meinung aber nicht geändert. Wo kommt die Jacke also her?«
    »Ich hab doch gesagt, ich dachte, sie wäre von dir. Wer sonst hätte sie dort hingelegt haben können? Ich war den ganzen Tag bei der Arbeit, und wir beide sind die Einzigen, die einen Schlüssel haben. Und Lou, der Hausmeister.«
    Ron schüttelte den Kopf. Er hätte noch wütender sein können, er wusste nur nicht, auf wen. »Lou ist fünfundsechzig und kann sich eine Jacke wie diese überhaupt nicht leisten. Zudem ist es schon unmöglich, ihn hierherzukriegen, wenn er einen tropfenden Wasserhahn reparieren soll. Ganz bestimmt kommt er nicht, um uns mit Geschenken zu überraschen. Nach dem Gespräch, das ich mit ihm geführt habe, würde Lou niemanden auch nur eine Minute in unsere Wohnung lassen, ohne dass einer von uns beiden anwesend ist.«
    »Wer dann?«
    Er ballte seine rechte Hand zu einer Faust und hielt sie dicht vor seine Brust. »Dieses Arschloch aus der Boutique – Ira.«
    »Aber wie sollte er? Und warum ?«
    »Er wusste, dass du die Jacke wolltest.« Ron ging zu der Jacke und hob sie hoch, dann knüllte er sie zusammen und warf das Bündel zurück aufs Sofa. »War eine Nachricht oder so dabei?«
    »Nichts. Ich habe sie genau so vorgefunden, wie du sie gesehen hast.«
    Er hob die Jacke auf und klemmte sie, noch immer zusammengeknüllt, unter seinen

Weitere Kostenlose Bücher