Opferzeit: Thriller (German Edition)
herunter, kaue so gut ich kann und versuche, nichts zu schmecken, aber das klappt nicht. Ich schaue auf das Sandwich. Dreimal habe ich abgebissen.
Beißen. Kauen. Adam lacht.
Schlucken. Und noch mal. Glen lacht.
Diese Erniedrigung ist schlimmer als alles, was ich bisher erlebt habe. Glen zückt eine Kamera und macht ein Foto. Dann filmt er, wie ich abbeiße. Wenn ich es überlebt habe, dass man mir den Hoden zerquetscht hat, dann kann ich auch das hier überleben. Es dauert zehn Minuten, dann habe ich das Sandwich verspeist. Ich rechne damit, dass sie mich auch das Stück essen lassen, das ich ausgespuckt habe, aber das tun sie nicht. Ich spüre, wie mein Gesicht brennt, und die Narbe, die zu meinem Auge hochläuft, fühlt sich hart an. Mein anderes Auge tränt. Das verletzte nicht, das hat irgendwas mit dem beschädigten Tränenkanal zu tun.
»Siehst du, war doch gar nicht so schlimm, oder?«, sagt Adam und lässt mich los.
Ich sinke auf die Knie und fange an zu würgen. Im Rachen schmecke ich Magensäure, aber das Sandwich bleibt unten, was wahrscheinlich gut ist, denn diese Typen würden es mich noch einmal essen lassen.
Es dauert ein paar Minuten, bis sie sich beruhigt haben. Glen musste so heftig lachen, dass ihm der Schweiß ausgebrochen ist. Ich brauche genauso lange, um zu merken, dass ich wieder laufen kann, ohne mich vollzukotzen. Die beiden bringen mich zurück in meine Zelle. Sie treiben mich zur Eile an, doch ich gehe in gemächlichem Tempo weiter. Sie machen sich die ganze Zeit über mich lustig, und nachdem sie mich in meiner Zelle abgeliefert haben, kann ich hören, wie sie lachend den Gang hinuntergehen.
Ich schaue zur Tür hoch, weil ich damit rechne, dass Caleb Cole hereinkommt. In dem Fall könnte ich nichts tun. Also spricht nichts dagegen, der Tür den Rücken zuzudrehen und für etwas Linderung zu sorgen. Ich halte meinen Kopf unter den Wasserhahn des Waschbeckens und lasse meinen Mund volllaufen, spüle ihn mehrmals aus. Dann trinke ich, Schluck um Schluck, bis ich nicht mehr kann, und als ich das Gefühl habe, dass sich mir der Magen umdreht, beuge ich mich über die Toilette. Mit einem Schwall Wasser werden schließlich Stücke des Sandwiches aus meinem Magen herausbefördert, allerdings nicht so viele, wie ich gerne hätte. Heute ist ein schlechter Tag, und ich weiß, es kann noch alles Mögliche passieren, durch das er noch sehr viel schlimmer werden könnte.
Kapitel 38
Raphael hätte gestern Abend auf sein Bauchgefühl hören sollen. Es sagte ihm, dass hinter Stella mehr steckt, als sie nach außen zeigt, aber er hat in ihr gesehen, was er sehen wollte. Ihre Lügen waren gut. So gut, dass wohl jeder darauf reinfallen würde. Auch ihr verändertes Aussehen. Junge, damit hätte sie fast jeden getäuscht. Ihn hat sie getäuscht. Selbst als ihm Schroder das Foto zeigte, fiel bei ihm noch nicht der Groschen. Nicht sofort jedenfalls. Erst als er es sich genau anschaute, erkannte er sie. Sie sah anders aus. Anderes Make- up, andere Frisur – hey, eine völlig andere Haarfarbe.
Und dann fügte sich alles zusammen.
Stella war nicht Stella. Sie war kein Vergewaltigungsopfer, das sein Baby verloren hatte.
Sie war Melissa.
Diese Erkenntnis traf ihn fast wie ein Schlag in die Magengrube. Er spürte, dass er keine Luft mehr bekam, und er musste all seine Beherrschung aufbringen, um Ruhe zu bewahren, um sich nicht anmerken zu lassen, dass er die Frau auf dem Bild kannte. Er stand da und starrte auf das Foto, während sein Gehirn auf Hochtouren arbeitete. Er fühlte sich betrogen. Eigentlich hätte sein Moralempfinden ihn dazu bewegen müssen, Schroder zu sagen, dass sie in seinem Haus war – ja, er hat es sogar in Erwägung gezogen, aber sich dann dagegen entschieden. Hätte er es Schroder erzählt, hätte er bereits mit einem Fuß im Knast gestanden – immerhin hat er die beiden Anwälte getötet.
Natürlich hat Schroder was gemerkt. Wie sollte es anders sein? Aber er konnte die Pause überspielen – er erzählte dem Expolizisten, er kenne sie aus den Nachrichten, und Schroder kaufte es ihm ab. Er hatte keinen Grund, es nicht zu tun. Wird Melissa es ihm auch abkaufen?
Was er nicht weiß, ist, warum sie Joes Tod will. Es muss irgendwas mit dem Prozess zu tun haben. Der Zeitpunkt deutet darauf hin. Sie will Joes Tod, und das findet er okay. Denn er will ihn ebenfalls. Ihre Wünsche sind dieselben.
Unterschiedlicher Meinung sind sie allerdings, wenn es um das Töten Unschuldiger geht.
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