Opferzeit: Thriller (German Edition)
peinlich«, sagt sie, »nichts Besonderes. Bloß Shampoo-Werbung, hauptsächlich. Ein paar Hotel-Spots. Man sieht mich meist hinter der Rezeption, oder am Pool oder unter der Dusche. Mit meiner Karriere geht es steil nach oben«, sagt sie und grinst. »Aber mit dem Baby werden Sie mich für ein paar Jahre nicht mehr sehen, es sei denn in einer Windel-Werbung. So, ich möchte zwar nicht unhöflich sein, aber die Natur ruft«, sagt sie und bleibt neben einem kleinen Flur mit einem Hinweisschild zu den wenige Meter entfernten Toiletten stehen. »Haben sie Kinder?«, fragt sie.
»Zwei«, sagt er. Zu seinen Füßen bildet sich eine Wasserlache.
»Es ist mein erstes«, sagt sie. »Ich glaube, er wird ein richtiger Scherzkeks. Also, im Moment findet er es lustig, mich alle zehn Minuten auf die Toilette zu schicken. Danke fürs … fürs Mitnehmen«, sagt sie mit einem Lächeln.
»Keine Ursache.«
Schroder geht zum Empfangstresen, hinter dem eine sehr große Frau sitzt. Sie sind durch eine Plexiglasscheibe voneinander getrennt wie in einer Bank. Das letzte Mal war er im Sommer im Gefängnis, als Theodore Tate entlassen wurde, aber da hat er nur draußen auf dem Parkplatz gewartet. Tate war ein Freund von ihm, ein Cop, der zum Kriminellen wurde. Dann als Privatdetektiv arbeitete. Erneut zum Kriminellen wurde. Darauf wieder Cop. Und schließlich zum Opfer. Tate hat einiges mitgemacht, und Schroder nimmt sich vor, ihn zu besuchen. Das letzte Mal ist schon eine Weile her.
»Ich möchte Joe Middleton sehen«, sagt er und reicht der Frau seinen Ausweis.
Als er Joes Namen nennt, verzieht sie ein wenig das Gesicht genau wie er. Joe Middleton. Vier Jahre lang ist dieser widerliche Scheißkerl unter ihren Augen seiner Arbeit nachgegangen, hat die Böden gewischt, ihren Müll geleert und die ganze Zeit Polizeiquellen genutzt, um den Ermittlungen stets ein Stück voraus zu sein. Joe Middleton. Seine Verhaftung ging auf Schroders Konto, aber der ganze Fall war ein einziges Schlamassel. Sie hätten ihn früher schnappen müssen. Zu viele Leute sind dabei gestorben. Schroder fühlte sich dafür verantwortlich. So wie eine Menge seiner Kollegen. Und das war auch gut so – sie haben zugelassen, dass ein Mörder unter ihnen war.
»In fünf Minuten ist er bereit«, sagt die Frau, und Schroder weiß, dass alles stets genauso ist, wie die Frau es sagt. Sie wirkt wie jemand, mit dem man sich lieber nicht anlegt, wie jemand, der den Laden hier draußen ganz alleine schmeißt. »Nehmen Sie Platz«, sagt sie und deutet hinter ihn. Er weiß, wie das hier läuft. Er hat schon öfter gewartet – aber nie als Zivilist. Da läuft es anders. Es gefällt ihm nicht, ohne Marke zu sein.
Schroder geht zu den Sitzen hinüber. Er ist der Einzige hier. Die schwangere Frau ist immer noch auf der Toilette, und ihm fällt ein, wie es mit seiner eigenen Frau war, dass sie sich am Ende weigerte, sich weiter als dreißig Sekunden von der nächsten Toilette zu entfernen.
Schroder setzt sich, seine nassen Klamotten kleben an seinem Körper. Der Stuhl besteht aus einem einzigen massiven Plastikstück mit daran befestigten Metallbeinen. Auf einem Tisch liegen Zeitschriften. Mit ein paar hustenden Leuten und einem schreienden Baby könnte das hier das Wartezimmer eines Arztes sein. Er hört, wie das Wasser von seinem Körper auf den Boden tropft. Die Wärterin am Tresen schaut zu ihm herüber, und er hat ein schlechtes Gewissen, weil er so eine Sauerei macht. Jede Sekunde rechnet er damit, dass ihm die Frau ein paar Papierhandtücher zuwirft oder einen Mob, oder dass sie ihn vor die Tür setzt.
Fünf Minuten. Dann muss er dem Mann gegenübertreten, den er verhaftet hat.
Dem Schlächter von Christchurch.
Dem Mann, der sie alle zum Narren gehalten hat.
Kapitel 5
So muss es sich anfühlen, wenn man in der Lotterie gewonnen hat. Oder wenn man in der Lotterie gewinnt, ohne dass man ein Los gekauft hat. Die beiden Wärter scheinen sauer zu sein. Adam sieht aus, als wollte er mir eine verpassen, und Glen, als könnte er Trost vertragen. Die Neuigkeit dringt in mein Bewusstsein, und ich spüre, wie mein aufgesetztes Slow-Joe-Gesicht langsam Gestalt annimmt. Die Welt, die vor zwölf Monaten aus den Fugen geraten ist, kommt wieder ins Lot. Was aus dem Gleichgewicht geraten war, pendelt sich wieder ein. Die Natur korrigiert sich selbst. Die Gesetze der Physik korrigieren sich selbst. Mein Slow-Joe-Lächeln fühlt sich klasse an, und es wirkt nun viel passender als
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