Osterfeuer (German Edition)
Frau Oppel, Sie haben zufällig
gesehen, wie Frau Kampmann den Spazierweg zum Steilufer einschlug und beschlossen,
ihr zu folgen. Warum?«
Betty verzog vor Schmerzen das Gesicht,
als sie versuchte mit den Schultern zu zucken.
»Ich weiß auch nicht genau. Ich
dachte, vielleicht würde ich irgendwas über Margots Tod herausfinden … Es war eine
blöde Idee, glaube ich …«
Angermüller enthielt sich eines
Kommentars und ermunterte sie, weiter zu erzählen.
»Trude hat wohl etwas gemerkt. Jedenfalls
habe ich sie aus den Augen verloren und als ich aus dem Wäldchen ans Steilufer kam,
stand sie plötzlich vor mir und bedrohte mich mit einem Messer.«
»Wie ging das vor sich? Was genau
hat Frau Kampmann getan?«
Unruhig rutschte Betty hin und her
und sah immer wieder nervös zur Tür: »Was hat sie getan? Ja, was? Sie versuchte
natürlich, mich irgendwie einzuwickeln, dass ich ihr vertrauen sollte und hielt
eben dieses Messer in der Hand …«
»Hat sie Sie angefasst, geschlagen,
mit dem Messer verletzt?
Betty lachte bitter auf.
»Gott sei Dank nicht! Was denken
Sie? Ich bin natürlich ausgewichen. Aber sie kam immer näher und dann …«
»Was ist dann passiert?«
»Sie wollte mich gerade zu fassen
kriegen, da habe ich einen großen Schritt rückwärts gemacht und ich habe geschrieen.
Ja, und dann bin ich gefallen … erst im Krankenwagen bin ich wieder aufgewacht.«
Angermüller sah sich um. Ihm war
unerträglich heiß und er hätte sich gerne gesetzt. Doch auf dem einzigen Stuhl im
Raum hatte sich Jansen niedergelassen und ein Schild wies darauf hin, dass es Besuchern
nicht erlaubt war, auf unbenutzten Betten Platz zu nehmen – Hygienevorschriften!
Aus dem Fenster konnte man über die Dünen zum Strand blicken, an den die aufgewühlte,
graue Ostsee heute erstaunlich große Wellen rollte. Da draußen war es bestimmt angenehm
frisch und kühl! Betty Oppels Einlassungen erhöhten sein Gefühl des Unwohlseins.
Jansen verbuchte natürlich alles, was gegen Frau Kampmann zu sprechen schien, im
Plus. Für Angermüller war die Frau hier schlicht hysterisch und der vermeintliche
Messerangriff die reine Einbildung. Was half’s, auch die wohlmeinende Falschaussage
der alten Dame hatte die Vorwürfe gegen Frau Kampmann erhärtet statt sie zu entkräften.
Der Kreis des Verdachts um die Frau, die er trotz allem nach wie vor für unschuldig
hielt, zog sich immer enger. Angermüller wiegte seinen Kopf hin und her und sagte
ernst:
»Das sind ja wirklich schwere Anschuldigungen,
die s ie da gegen Ihre Freundin vorbringen,
Frau Oppel! Sie sind sich bewusst, dass Sie unsere Hauptbelastungszeugin sind?«
Ein hoheitsvolles Nicken war die
Antwort – Betty Oppel stand zu ihrer Verantwortung.
»Erst durch Ihre Hinweise haben
wir unsere Ermittlungen in diese Richtung gelenkt«, fuhr Angermüller fort. Er wusste
selbst nicht, was er sich davon versprach, die Zeugin so in seine Überlegungen zu
diesem Fall einzubeziehen. Ungewöhnliche Wege führen manchmal zu ungeahnten Zielen,
sagte er sich, darauf hoffend, dass es doch noch zu einer Wendung kam.
»Wir sind eigentlich von einem Sexualdelikt
ausgegangen. So ganz haben wir diese Spur auch noch nicht aufgegeben. Es gibt da
verschiedene Anhaltspunkte, zum Beispiel hatte Frau Sandner in der Mordnacht Geschlechtsverkehr,
ein männlicher Zeuge ist seither verschwunden und bisher ist auch der Slip, den
Frau Sandner in jener Nacht getragen hat, nicht wieder aufgetaucht …«
Bei der Erwähnung des Slips sah
Betty den Kommissar erstaunt an.
»Woher wissen Sie so genau, dass
Margot überhaupt einen getragen hat?«
Angermüller war vierzig Jahre alt
und nichts Menschliches war ihm fremd, doch auf diese Idee war er bisher nicht gekommen.
Er ließ sich seine Verblüffung über diese einfache Erklärung für das Fehlen des
Slips nicht anmerken und antwortete ganz selbstverständlich: »Wir können natürlich
gar nicht wissen, ob Frau Sandner mit einem Slip bekleidet war, aber es ist ja nicht
ganz unüblich, denke ich. Doch Sie scheinen da anderer Meinung zu sein?«
Er warf einen Seitenblick auf Jansen,
der plötzlich auf diese lüsterne Art interessiert schaute, die Angermüller überhaupt
nicht leiden konnte. Betty Oppel nahm von seinem Kollegen keine Notiz und in dem
ehrfürchtigen Tonfall, in den man im Andenken an einen hochgeschätzten Verstorbenen
verfällt, antwortete sie:
»Damit Sie sich kein falsches Bild
von Frau Sandner machen: Margot war kein sexhungriges Monster! Sie war
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