Osterfeuer (German Edition)
im Grunde
ein ziemlich verzweifelter Mensch, weil sie so verdammt illusionslos war und je
älter sie wurde, desto mehr wurde Sex für sie zu einer Bestätigung, dass sie noch
da ist, dass sie lebt. Von Männern erwartete sie nicht viel und um guten Sex zu
haben, sagte sie immer, muss man bei sich selbst anfangen und da sie es erregend
fand, keinen Slip unterm Rock zu tragen, hat sie damit eben angefangen … ach Margot,
sie war schon eine ganz besondere Frau!«
Wehmütige Bewunderung lag in Bettys
Stimme und trotz der Intimität des Themas zeigte sie keine Spur von Verlegenheit,
sodass Angermüller nachfragte: »Und wie war das am Samstagabend? Wissen Sie definitiv,
dass Margot Sandner da auch keinen Slip trug?«
»Wir haben darüber nicht gesprochen,
aber so ein Fest gehörte nach Margots Maxime auf jeden Fall zu den ‚slipfreien Terminen’,
da bin ich mir ganz sicher! Und sie stand ja auch an dem Abend im Mittelpunkt des
Männerinteresses und hat es in vollen Zügen genossen – die Blicke, das Begehren,
die Berührungen. Sie hat mit fast allen getanzt und ganz offensichtlich ihren Spaß
gehabt …«
Es war wirklich bemerkenswert, mit
welchem Eifer sich diese kleine, unauffällig Person in das lebenshungrige Wesen
ihrer toten Freundin versetzte. Sie schien alles gehabt zu haben, was sie an sich
selbst zu missen glaubte. Sogar das Entsetzen über Margot Sandners Tod trat hinter
die grenzenlose Bewunderung zurück, die Betty Oppel ihrem Vorbild entgegen brachte.
Es war einer jener Momente, in denen das Innenleben eines fremden Menschen wie ein
offenes Buch vor einem lag und Angermüller spürte das Bedürfnis, es ganz schnell
zuzuklappen. Er wollte nicht gezwungen werden, über die Einsamkeit, den Frust, die
Enttäuschungen dieser nicht mehr ganz jungen Frau nachzudenken, wenn ihm auch langsam
klar wurde, dass hierin die Triebfeder für die schlimmen Anschuldigungen gegen Trude
Kampmann zu suchen war.
Was dem Kommissar überhaupt nicht
gefiel, war die Tatsache, dass die Frage nach dem nicht vorhandenen Slip nun beantwortet
schien und damit eine noch offene Spur sich in Wohlgefallen aufgelöst hatte. Jansen
würde mit Sicherheit diesen Punkt gegen die Verdächtigte buchen. Angermüller nahm
seinen Mantel.
»Ich denke, wir haben keine Fragen
mehr, Frau Oppel. Vielen Dank, dass Sie trotz Ihres Gesundheitszustandes unsere
Fragen beantwortet haben und baldige Genesung natürlich! Wir melden uns, wenn wir
noch einmal Ihre Unterstützung brauchen.«
»Ich hoffe, ich konnte Ihnen weiterhelfen!
Sie geben mir Bescheid, wenn Sie wissen, wer’s getan hat. Und Frau Kampmann sagen
Sie bitte, sie soll mich nicht mehr besuchen«, bat Betty, um deren Augen sich im
nachlassenden Licht des frühen Abends mittlerweile zwei dunkelviolette Ringe legten.
»Machen wir.«
Jansen erhob sich.
»Und ich wünsche auch gute Besserung!
Wie lange müssen Sie denn hier noch liegen?«
»Die Ärzte haben gesagt, noch zwei,
drei Tage wegen der Gehirnerschütterung und dann darf ich zurück nach Berlin fahren
oder besser gefahren werden. Iris, Frau Dr. Schulze, will netterweise noch so lange
hier bleiben und mich dann mitnehmen. Ich werde auch sehr froh sein, wieder daheim
zu sein. Vor allem fehlt mir meine Tochter!«
»Na dann, alles Gute noch mal!«
13
Eine ungemütlich feuchte Kälte herrschte im Auto, als Trude und Iris
durch den nieselig grauen Aprilnachmittag vom Krankenhaus zurückfuhren. Ihr Atem
ließ die Autoscheiben beschlagen und die beiden wechselten kaum ein Wort. Die schlanken
Arme um den Oberkörper geschlungen, der Teint blass und durchscheinend, saß Iris
auf dem Beifahrersitz und erinnerte mehr denn je an ein frierendes Vögelchen. Doch
der Impuls, liebevoll den Arm um sie zu legen, sie zu wärmen und zu verwöhnen, überkam
Trude nicht mehr. Die Ereignisse der letzten Tage hatten ihr Verhältnis zu der Freundin
verändert. Trude fühlte sich nicht mehr bemüßigt, die Mauer von Zurückhaltung und
Distanz, dieses abwehrende Rührmichnichtan, das die Frau wie einen Schutzschild
vor sich her trug, um jeden Preis zu durchbrechen. Irgendwie war ihr in den schlimmen
Stunden auch das Vertrauen abhanden gekommen. Ihr scheinbares Desinteresse am Schicksal
anderer, der Mangel an sichtbarem Mitgefühl hatte in Trudes Augen ein nicht mehr
entschuldbares Maß erreicht. Und sollte die Ursache dafür krankhafte Angst vor Nähe
sein, fühlte sich Trude momentan wahrlich nicht berufen, die Therapeutin zu spielen.
Trotzdem
Weitere Kostenlose Bücher