Ostfriesenblut
Kellnerin: »Zahlen!«
»Können wir nicht wenigstens ein paar Bissen … «
Sie ließ ihn nicht ausreden. »Kein Problem. Ich verstehe das, Frank. Wenn du noch ein bisschen Zeit für dich brauchst, dann iss in Ruhe auf. Aber – sei mir nicht böse – ich kann jetzt nicht hier sitzen bleiben.«
Die Kellnerin kam nicht sofort, sie glaubte, es sei nicht eilig, denn sie hatte das Frühstück ja gerade erst gebracht. Ann Kathrin Klaasen legte zwanzig Euro unter ihre Tasse und lief los.
»Warte!«, rief Weller hinter ihr her. »Ich komme ja schon!«
Er nahm noch einen Schluck Kaffee, schob sich die abgepellte Eihälfte in den Mund und rannte hinter Ann Kathrin her.
Hero Klaasen war überhaupt nicht begeistert davon, dass Susanne Möninghoff ihn an diesem Morgen so hängen ließ. Es war alles ganz anders besprochen gewesen. Eigentlich wollte sie Eike nach ihrem Dauerlauf zur Schule bringen. Normalerweise kam sie mit den ersten warmen Brötchen zurück.
Wenn sie schon in Norddeich lief, dann ging sie auch zu Grünhoff oder ten Cate. Sie hatte so ihre Vorlieben. Bei Grünhoff mochte sie die Brötchen besonders gern, bei ten Cate das Dinkelbrot. Genau wie seine Frau Ann Kathrin holte sie samstags bei Remmers in Norden im Neuen Weg Baguettes. Und sie brachte auch immer ein paar von den Minibrötchen mit, die es nur samstags bei Remmers gab und die Eike so sehr mochte.
Jetzt überlegte Hero, ob sie das alles vielleicht nur tat, um es genauso oder noch besser zu machen als Ann Kathrin.
Hero hatte schon dreimal versucht, sie anzurufen, doch es kam immer die Nachricht, der Teilnehmer sei zur Zeit nicht erreichbar. Sie hatte das Handy immer beim Joggen mit. Warum war es nicht an? Es war kaum denkbar, dass sie sich in einem Funkloch befand.
Er frühstückte jetzt alleine mit Eike. Der Junge hatte »überhaupt keinen Bock«, zur Schule zu gehen. Hero verstand das gut. Es war schwierig, diszipliniert zu arbeiten, wenn man in so einer touristischen Gegend wohnte. In Nordrhein-Westfalen waren jetzt Ferien, und viele Menschen nutzten Ostfriesland als Naherholungsgebiet. Wie sollten die Schüler Lust haben, Mathe zu pauken, wenn Gleichaltrige am Strand Basketball spielten und ihre Bretter zum Surfen klarmachten?
»Wo ist Susanne?«, fragte Eike. »Fährt sie mich nicht zur Schule? Ich denk, du hast heute Morgen eine Klientin?«
»Ja, hab ich auch. Ich weiß nicht, wo Susanne ist. Beeil dich mit dem Frühstück. Wenn sie nicht in fünf Minuten hier ist, fahr ich dich eben.«
»Joggt sie noch immer?«
Hero versuchte zu lächeln und den großzügigen Mann von Welt zu spielen. »Das ist doch kein Problem, Großer. Vielleicht hat sie eine Freundin getroffen und geht mit der einen Kaffee trinken bei dem schönen Wetter. Man muss Freiheit auch geben, weißt du, nicht nur nehmen.«
Eike überlegte, ob das irgendwie gegen ihn ging. Dann machte er einen vorsichtigen Versuch: »Es macht nichts, wenn ich erst zur zweiten Stunde komme. In der ersten haben wir … «
Hero lachte. »Du wirst pünktlich da sein. So, jetzt trink deinen Tee, und dann fahren wir.«
Im Auto legte Hero eine Bruce-Springsteen- CD ein und sang laut mit: »Born in the USA !«
Amüsiert sah Eike, wie sein Papa den coolen Headbanger heraushängen ließ, aber er kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er damit nur etwas überspielen wollte.
»Hat sie nicht angerufen und gesagt, was mit ihr los ist?«, fragte Eike.
Hero drückte die Stopptaste. »Du benimmst dich wie ein eifersüchtiger Ehemann, Söhnchen.«
Seine Klientin hieß Michaela Frühling. Sie sah aber eher aus wie eine dunkle Herbstnacht. Sie hatte tiefe Ränder unter den Augen und ein kantiges Gesicht. Die Jeans schlabberte um ihre Beine herum, und wenn sie sich setzte, wurden ihre spitzen Knie sichtbar. Sie hungerte sich seit zwei Jahren scheibchenweise zu Tode.
Es gelang Hero Klaasen nicht wirklich, sich auf das Gespräch mit Michaela Frühling zu konzentrieren. Aufmerksam lauschte er die ganze Zeit auf das Öffnen der Tür. Doch das Geräusch kam nicht.
Vielleicht war Susanne ja von hinten ins Haus gekommen. Das konnte er nicht hören. Es gab zwar keine Veranlassung für sie, das zu tun, aber trotzdem war die Möglichkeit vorhanden. Doch dann müsste er irgendein Geräusch unten hören, dachte er. Das Klappern von einem Teller. Das Quietschen von einem Stuhl. Das Blubbern der Kaffeemaschine.
Es ging so weit, dass Michaela Frühling ihn fragte: »Hören Sie mir überhaupt zu, Herr
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