Paladin der Seelen
eine Geldbörse gefunden, stattdessen schwenkte er Ferdas Landkarten. Er eilte zu seinen Offizieren und rief auf Roknari: »Schaut her, edle Herren, schaut! Pläne von Chalion! Bald wissen wir wieder, wo wir sind!«
Ista blinzelte und schaute sich ein wenig genauer um.
Die Reittiere der Männer, die sie überholt hatten, waren mindestens so erschöpft wie ihre eigenen. Ista erinnerte sich an Liss’ Bemerkung über die Pferde, die spät im Rennen die Geschwindigkeit nicht hatten halten können. Vielleicht hätte ihre Schar die Verfolger letztlich doch noch abgeschüttelt, hätte die Vorhut ihnen nicht den Weg verlegt. Die Männer waren erhitzt, erschöpft, schmutzig, unrasiert. Ihre kunstvollen roknarischen Flechtfrisuren waren zerzaust, als hätten sie sich das Haar seit Tagen oder gar Wochen nicht mehr gerichtet. Am schlimmsten aber sahen die Männer aus, die als Letzte herankamen: Viele von ihnen trugen Verbände, hatten Schnittwunden oder verkrustete Verletzungen, und die meisten führten Pferde mit leerem Sattel hinter sich her, manche drei oder vier hintereinander. Es wart keine Beute zu sehen, denn die meisten Tiere waren im Roknari-Stil aufgezäumt. Einige dienten vielleicht als Ersatzpferde, aber nicht alle. Und der Tross, der ganz zum Schluss erschien, war viel zu klein für einen Trupp dieser Größe.
Wenn dieser Tross das Ende des Zuges war, und weder Foix noch dy Cabon waren unter den Gefangenen zu sehen … Ista erlaubte sich ein kurzes Aufkeimen von Erleichterung. Selbst wenn die Schreiber die Gefangenen genauso abzählten wie die Pferde, und falls ihnen auffiel, dass zwei Sättel leer blieben, wäre Foix gewiss schon mitsamt dem Geistlichen in ein besseres Versteck geflohen, ehe sie umkehren und eine Suche aufnehmen konnten. Wenn Foix seine Füße so geschickt zu gebrauchen verstand wie seine Zunge … Wenn der Bärendämon seinen Geist nicht allzu sehr verwirrt hatte … Wenn die Jokoner sie nicht kurzerhand erschlagen und ihre Körper achtlos am Straßenrand zurückgelassen hatten …
Eines war allerdings sicher: Das waren keine Krieger auf dem Weg zu irgendeinem heimtückischen Angriff. Alles deutete darauf hin, dass sie nach einer Niederlage die Flucht ergriffen hatten, oder nach einem teuer erkauften Sieg. Sie flohen nordwärts, in die Heimat. Ista war um Chalions willen erleichtert, doch umso größer waren ihre Sorgen um sich selbst und um Ferda und seine Leute. Angespannte, erschöpfte, überanstrengte Männer, die sich an der Grenze des Durchhaltevermögens bewegten, waren unberechenbare Entführer.
Der Offizier trat wieder an Ista heran und führte sie von der Straße fort an eine Stelle, wo sie im Schatten eines kleinen, verkrümmten Bäumchens sitzen konnte – eine merkwürdige Baumart aus dem Norden, mit breiten, gefächerten Blättern. Aus Foix’ Taschen hatten sie eine Börse mit Gold zu Tage befördert, die die fürstlichen Schreiber in Hochstimmung versetzte, und die Offiziere musterten sie mit Blicken, die deutlich mehr Respekt verrieten – zumindest mehr Berechnung. Die Gepäckstücke auf den wieder eingefangenen Maultieren wurden ebenfalls einer eingehenden Durchsuchung unterzogen. Ista wandte den Kopf ab, als die Soldaten johlend mit ihren Kleidungsstücken spielten. Der Offizier wollte genauer wissen, in welcher verwandtschaftlichen Beziehung sie zum Herzog von Baocia stand, und Ista erklärte ihm Sera dy Ajelos vorgeblichen Stammbaum. Besonders wichtig war ihm offenbar die Frage, ob der wohlhabende Herzog tatsächlich ein Lösegeld für sie stellen würde.
»Ja«, sagte Ista. »Er wird persönlich kommen, nehme ich an.« Mit zehntausend Kriegern, fünftausend Bogenschützen und der Reiterei des Marschalls dy Palliar. Doch der Gedanke, dass Männer für sie den Tod fanden, war ihr zuwider. Vielleicht gab es ja Gelegenheiten zur Flucht, oder man konnte sie für einen Bruchteil des wirklichen Wertes auslösen, sofern sie unerkannt blieb. Und Liss? War ihr die Flucht gelungen? Bisher waren keine Reiter gekommen, die eine widerstrebende Liss hinter sich her zerrten oder ihren Leichnam brachten, der schlaff über einem Sattel hing.
Die Offiziere standen über die Karten gebeugt und unterhielten sich aufgeregt, während die gemeinen Soldaten und die Tiere von Fliegen umschwärmt Rast machten und dabei jeden Schatten nutzten, den sie bekommen konnten. Der Ibranisch sprechende Offizier brachte Ista Wasser in einem übel riechenden Lederschlauch. Sie zögerte, leckte sich die
Weitere Kostenlose Bücher