Palast der blauen Delphine
gewöhnen.«
Katreus und Glaukos verzogen keine Miene; Phaidra kicherte leise.
»Warum sollte es dir anders gehen als uns?« grinste Deukalion schließlich, und Asterios sandte ihm einen dankbaren Blick.
Plötzlich erhob sich lauter werdendes Stimmengewirr. Instrumente wurden gestimmt, und man vernahm ein seltsames Donnern und Schnauben. Dann ertönte ein dumpfer Trommelwirbel, begleitet vom Klang der Rasseln und Zimbeln.
»Sie kommen, sie kommen!«
Im gleißenden Licht des Mittags stürmte ein schwarzer Jungstier in den Hof und galoppierte mit geblähten Nüstern auf die Tribüne zu. Schreie und Kreischen von den unteren Rängen; ein paar Männer sprangen auf und rannten nach oben. Lautes Gelächter begleitete ihre Flucht.
Der Stier hatte von der Tribüne abgelassen und stürmte auf die andere Seite zu. Um ihn herum tanzten rund zwei Dutzend junge Frauen und Männer. In Chitons, geschmückt mit bunten Bändern und Blüten, vollführten sie Saltos oder schlugen Rad.
Beifall brandete auf, als die erste Akrobatin in raschem Lauf auf das Tier zurannte. Mitten im wilden Galopp des Stiers packte sie seine Hörner und schwang sich, unterstützt von der wütenden Abwehrbewegung des Nackens, in die Höhe. Mit dem Kopf voran schnellte sie in einem kühnen Salto über seinen Rücken. Sicher landete sie mit beiden Beinen auf dem Pflaster. Sofort setzte der nächste Springer nach.
Sie verbeugte sich nach allen Seiten und warf dem Publikum Kußhände zu. Aus dem Knoten, der ihr Haar zusammenhielt, hatte sich eine braune Locke gelöst. Sie stürmte die Tribüne hinauf und blieb heftig atmend vor Pasiphaë stehen.
»Hat es dir gefallen, Mutter?«
Dann fiel ihr Blick auf Asterios, der neben der Königin stand, und ihr Gesicht wurde fahl.
Ihn durchzuckte es wie ein Blitz.
»Das ist Asterios«, setzte die Königin an. »Mein totgeglaubter Sohn, dein Bruder, den die Göttin mir wiedergeschenkt …«
»Astro«, flüsterte das Mädchen, und ihre Augen weiteten sich voll ungläubigem Entsetzen. »Du?«
Sie griff nach dem goldenen Medaillon auf ihrer Brust und verdrehte die Augen. Dann fiel sie ohnmächtig zu Boden.
»Das ist deine Schwester Ariadne«, sagte die Königin. »Mirtho, schnell! Sie hat vor Anstrengung das Bewußtsein verloren!«
Im Tanz der Elemente
WASSER
Weiß und dunstig hatte der Tag begonnen, einer jener frühen Sommermorgen, die nach Gras, wilden Kräutern und Erde riechen. Ein warmer Wind strich durch die Tamarisken. Noch lag das Meer in muschelfarbenen Schleiern verborgen, aber schon bald würden die Nebel sich heben und so klares Blau freigeben, daß Sonnenstrahlen bis weit in die Tiefe dringen und die Fische aufblitzen lassen würden.
Nachdem Minos sein Frühstück auf der südlichen Terrasse beendet hatte und hinauf zum Westhof stieg, stand sie ihm plötzlich wieder zum Greifen nah vor Augen – jene stille, geheimnisvolle Welt aus blauem Wasser, Felsen, seltsamen Pflanzen und Tieren, in die es ihn und seine Freunde früher magisch hinabgezogen hatte. Von der obersten Stufe aus spähte er angestrengt nach Süden, als könne er die Kiesbucht erkennen, in der sie ihr Boot versteckt hatten. Alles schien plötzlich wieder so wie damals.
Der schwarze Holzkahn, in dem sie zu zweit auf die Taucher gewartet hatten, die immer paarweise ins Meer stiegen. Ein letzter Blick zur Sonne, bevor sie sich am Tau in die Tiefe hinunterließen und sich das Wasser kühl über ihnen schloß. Dann der Druck auf den Ohren und in den Lungen, bis der Brustkorb fast zu bersten drohte. Jedesmal wieder hatte er sie zu früh zum Aufsteigen gezwungen, obwohl sie sich schworen, länger unten auszuharren. Die wohlige Erschöpfung endlich, als sie zitternd auf den heißen Bootsplanken lagen und zusahen, wie Salzkristalle auf ihren nackten braunen Leibern wuchsen.
Damals waren wir noch jung, dachte er wehmütig, und hatten den Kopf voller Träume und kühner Pläne. Halbwüchsige, die so oft wie möglich aus ihrem Übungsprogramm ausbrachen, um die langen Nachmittage am Wasser zu genießen. Keiner je ohne die anderen. Unser heimlicher Bund war mit Blut und Schwüren besiegelt und für die Ewigkeit geschlossen. Alles wollten wir erreichen. Die Welt aus den Angeln heben und auf wunderbare Weise neu gestalten.
Vier junge Männer aus den vornehmsten Familien, so unterschiedlich wie die Jahreszeiten. Unbeschwert wie der Frühling Aiakos; Minos selbst stark und hitzig wie ein Sommertag; an den Herbst hatte Garamos erinnert mit seinem
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