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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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Gebüsch im Hintergrund hervorkommen. Soviel konnte ich wohl oder
übel aus dem aufgelegten Sattel und dessen edlem Schmuck erkennen. Vielleicht
auch war jemand, der ein Schwert trug, drauf und dran, hinter dem Pferd hervorzukommen.
    Daß der Oheim von dem heimlich aus
der Buchmalerwerkstatt herbeigerufenen Illustrator verlangt hatte, das Bild
eines Pferdes zu malen, stand fest. Weil aber der Illustrator bei seiner
nächtlichen Tätigkeit das als Muster in seinem Gedächtnis ruhende Pferdebildnis
nur als Teil einer Geschichte auswendig zeichnen und auf das Papier übertragen
konnte, hatte er es auf ebendiese Art begonnen. An einer Stelle jedoch mußte
sich mein Oheim, von den Methoden der fränkischen Meister inspiriert, in das
Werk des Illustrators, dem ganz ähnliche Pferde aus Tausenden von Kriegs- und
Liebesszenen bekannt waren, eingemischt und zum Beispiel gesagt haben: »Zeichne
keinen Reiter, male dort einen Baum hin, aber zurückgesetzt und kleiner.«
    So saß der nächtliche Besucher
gemeinsam mit dem Oheim vor dem Arbeitspult, und da ihm jener für jedes dieser
seltsamen, gegen die Regeln verstoßenden Bilder, deren keines den gewohnten,
auswendig gelernten Szenen entsprach, ein gutes Entgelt gab und er selbst,
offen gesagt, diese merkwürdige Malweise anziehend fand, war er eifrig beim
Schein der Kerzen tätig. Doch genau wie der Oheim konnte auch der Illustrator
irgendwann nicht mehr ausmachen, welche Geschichte das Pferdebild schmücken
sollte, an dem er malte. Nun erwartete der Oheim von mir, daß ich diese Bilder halb
venezianischer, halb persischer Art betrachtete und je eine passende
Geschichte für die Seite daneben verfaßte. Es war nicht zu vermeiden, daß ich
diese Geschichten schrieb, wenn ich Şeküre gewinnen wollte, doch fiel mir
nichts weiter ein als das, was der meddah im Kaffeehaus erzählt hatte.

23
  Sie werden mich Mörder nennen
    Das tickende Räderwerk meiner Uhr kündete den Abend an,
der Ruf zum Gebet war noch nicht erklungen, doch ich hatte den Leuchter neben
meinem Buchständer schon vor einer Weile angezündet. Gerade war ich mit dem
Bild eines Opiumsüchtigen fertig geworden, hatte meinen Rohrstift in die schwarze
Hasanpascha-Tinte getaucht, rasch über das gut kalanderte, schön glänzende Papier
gleiten lassen und die Zeichnung im Nu aus dem Gedächtnis beendet, als ich jene
Stimme, die mich hinaus auf die Straßen rief, wie jeden Abend in meinem Innern
hörte. Doch ich hielt mich zurück. So fest war ich entschlossen, abends nicht
aus dem Haus zu gehen, sondern daheim zu arbeiten, daß ich einmal sogar
versucht hatte, die Tür von innen zu vernageln.
    Dieses in aller Eile gezeichnete
Buch war in aller Frühe, als noch niemand anders auf den Beinen war, von einem
Armenier in Auftrag gegeben worden, der aus Galata herkam und an meine Tür
klopfte. Er betätigt sich als Dolmetscher und Begleiter, obwohl er stottert,
und wenn die fränkisch-italienischen Reisenden nach einem Buch der Trachten
verlangen, kommt er sogleich zu mir und verhandelt heftig mit mir. Da wir uns
morgens auf einhundertzwanzig Asper für ein mittelmäßiges Trachtenbuch mit
zwanzig Abbildungen einig geworden waren, hatte ich zu der Stunde, da der Ruf
zum Abendgebet erscholl, ein Dutzend Istanbuler in einem Zug zu Papier
gebracht, wobei ich ihrer Kleidung besonderes Augenmerk widmete: den
Scheich-ül-Islam, den Obersten Torhüter, den Imam, den Janitscharen, den
Derwisch, den Spahi, den Kadi, den Innereienhändler, den Henker – eine
Abbildung des Henkers beim Foltern ist sehr beliebt –, den Bettler, das Weib
auf dem Weg zum Hamam, den Opiumsüchtigen. Ich habe, um ein paar Asper mehr zu
verdienen, so viele dieser Bücher angefertigt, daß ich mir eigene Spiele ausgedacht
habe, den Bettler zum Beispiel mit geschlossenen Augen zeichne oder auch den
Kadi, ohne die Spitze des Pinsels vom Papier abzuheben, damit es mir nicht
langweilig wird bei der Zeichnerei.
    Dichter, Räuber und Kummerbeladene
wissen allesamt, wie sich beim Ruf zum Abendgebet alle Dämonen und Teufel in
ihrem Innern aufbäumen, empören und sie im Chor verführen: Hinaus, hinaus,
schreit die Stimme des Unfriedens in uns, lauf zu den anderen Menschen, hinein
in das Dunkel, das Elend und die Gemeinheit. Es hat mich Jahre gekostet, diese
Dämonen und Teufel zu besänftigen. Meine Bilder, die von vielen Leuten als
Wunder von meiner Hand betrachtet werden, habe ich mit ihrer Hilfe gemalt. Doch
seit ich vor sieben Tagen jenen Schuft umgebracht

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