Panther
deine Lösungen sogar lesen«, sagte sie. »Keine Ahnung, ob sie richtig sind oder nicht, aber auf jeden Fall kann ich sie lesen.«
»Wart’s ab.«
»Darf ich dich was fragen, Nick? Wie lange willst du so weitermachen als Linkshänder?«
»So lange, bis ich’s kann.«
»Und dann?«
»Ich weiß nicht, Mom«, sagte Nick knapp. »So weit hab ich noch nicht gedacht.«
In Wahrheit hatte er sich eine Menge Gedanken über das Thema gemacht. Die Ärzte gingen davon aus, dass Nicks Vater, auch wenn er wieder zu Hause war, noch monatelang ambulante Reha-Maßnahmen brauchen würde. Nick hatte vor, ihn zu begleiten und dieselben Übungen für den linken Arm zu machen wie sein Vater.
Als er Mathe geschafft hatte, las Nick für Englisch eine Kurzgeschichte von O’Henry, durch die sich seine Laune deutlich besserte. Als nächster größerer Akt folgte das Zähneputzen, was einigermaßen glimpflich, nämlich nur mit leichtem Zahnfleischbluten über die Bühne ging.
Nick hatte eigentlich mit der Bandage um den rechten Arm schlafen wollen, aber er fand einfach keine bequeme Stellung. Immer wieder schlief ihm die Hand ein, und Nick sorgte sich, dass die elastische Binde dauerhaften Schaden verursachen könnte, wenn er in einer ungünstigen Position einschlief. Mühsam wickelte er den Arm aus, der sich schwach und taub anfühlte. Er ballte die Faust und spannte ein paarmal die Muskeln an, um die Blutzirkulation wieder in Gang zu bringen.
Nick hatte das Licht bereits gelöscht und hörte noch Musik auf seinem iPod, als seine Mutter die Tür einen Spalt öffnete und hereinschaute. »Wow. Es ist gerade mal halb neun.«
»Ich bin total platt.«
Sie setzte sich und legte ihm eine Hand auf die Stirn, um zu fühlen, ob er vielleicht Fieber habe.
»Hast du ’nen Durchhänger wegen Dad?«, fragte sie.
Er nickte. »Ja. Es ist alles so ein Mist.«
»Morgen rufen wir ihn an. Versprochen.«
»Die Infektion muss ziemlich schlimm sein.«
»Mach dir keine Sorgen«, meinte seine Mutter. »Der Arzt sagt, das sei nicht unüblich nach Amputationen bei Soldaten, die im Krieg verwundet wurden.«
Ein Wort seiner Mutter schockte Nick. Nur langsam sickerte die Wahrheit in sein Bewusstsein ein: Sein Vater war amputiert.
Aber immerhin ist er am Leben, sagte er sich, und nur darauf kommt es an.
»Falls du nicht einschlafen kannst – ich sehe noch ein bisschen fern«, sagte seine Mutter.
»Danke, Mom, aber ich glaube, ich bin gleich hinüber.«
Eine Stunde später war Nick noch immer hellwach. Sein Körper war todmüde, doch sein Hirn knisterte wie eine Hochspannungsleitung. Die ganze Zeit musste er daran denken, was seinem Vater passiert war, er stellte sich den grellen Blitz der explodierenden Granate vor, die Detonation, als es den Humvee-Jeep zerriss, die Flammen, den Rauch, die Schreie …
Er traute sich nicht, die Augen zu schließen, aus Angst vor dem, was er womöglich träumen würde, und so nahm er sein Handy vom Nachttisch und wählte Martas Nummer. Gleich beim zweiten Klingeln nahm sie ab.
»Bist du wach?«, fragte er möglichst leise.
»Ich surfe im Facebook. Peinlich, ich weiß.«
»Extrem.«
»Hast du mit deinem Dad gesprochen?«
»Heute nicht. Er war in der Reha.«
»Ich kann auch nicht schlafen«, sagte Marta. »Ich musste an alles denken, was in der Schule passiert ist, und weißt du was? Mrs. Stark ist eine Hexe, das ist mir jetzt klar.«
»Oje, fang nicht wieder damit an.«
»Nein, ich meine, eine echte Hexe. Denk doch mal nach – sie und Smoke sind gleichzeitig verschwunden. Er ist plötzlich wieder da, aber so, als hätte ihm jemand eine komplett neue Persönlichkeit verpasst. Ich wette, Mrs. Stark hat ihn verzaubert!«
Nick lachte. »Wir sind nicht in Hogwarts, Marta. Wir gehen auf die Truman School.«
»Ich hab nicht gesagt, sie ist eine Zauberin. Sie ist eine Hexe, hab ich gesagt.«
»Wie du meinst.«
»Okay, du Klugscheißer, dann lass mal deine brillante Theorie hören.«
»Ich hab keine«, musste Nick zugeben. »Aber dass da irgendwas ganz Merkwürdiges im Busch ist, da geb ich dir recht.«
»Vielen Dank«, sagte Marta.
Nick war auch der Meinung, dass der Grund, den Mrs. Stark für ihre plötzliche Abwesenheit von der Schule angegeben hatte, sehr nach billiger Ausrede klang. Die Frau hatte doch seit der Steinzeit noch keinen Tag Unterricht versäumt! Aber noch viel verwirrender und verdächtiger war das Auftauchen des neuen, geläuterten Smoke – aufgeweckt, adrett gekämmt und gekleidet,
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