Parasiten
Einlassungen,
dass man den Angstschweiß durchs Telefon riechen konnte. Es hatte kein zehn
Minuten gedauert, bis der Kerl eingeknickt war. Noch zwei Tage bis zum Treffen.
Diese zwei Tage gaben Walter die Gelegenheit, über mögliche und wahrscheinliche
Abwehrmaßnahmen des Gegners nachzudenken. In der stets überfüllten
Touristenfalle ›Alsterpavillon‹ war er sicher, nicht nur wegen der vielen
Menschen. Sein Gesprächspartner würde garantiert keinen Wert darauf legen, bei
einem Auftragsmord anwesend zu sein. Aber sobald er das Café am Jungfernstieg
verließ, würde man ihm folgen, um seine Identität herauszubekommen und ihm das
Material abzujagen. Und ihn mund- oder ganz tot zu machen. Wie Henning
Petersen. Das galt es zu verhindern. Walter Ramsauer wollte wie Phönix aus der
Asche steigen und nicht in ein Grab versenkt werden.
20. April 2010
Frankfurt.
Seit vier Tagen und Nächten waren sie unterwegs. Vier Tage
und Nächte eingeschlossen in vor Dreck starrenden Baracken oder auf den kalten,
unbequemen Ladeflächen von Lieferwagen und Lkws. Vier Tage und Nächte
vergewaltigt von den Aufpassern, den Fahrern und den Kunden in den Baracken,
mit denen sich die Aufpasser das Gehalt aufbesserten.
Sofia hatte es aufgegeben, sich mit den anderen Frauen zu unterhalten.
Am ersten Tag hatte sie Katyas Beistand schmerzlich vermisst und deswegen die
Nähe zu einer Litauerin gesucht, die irgendwo bei Nacht und Nebel mit drei anderen
Frauen zu der Ladung gepackt worden war. Nähe tat gut, Nähe schien überlebensnotwendig.
Sie unterhielten sich leise auf Russisch, vermieden es, ihre derzeitige
Situation zu thematisieren, erzählten stattdessen von ihren Familien, sprachen
übers Wetter und die globale Erwärmung, über Schuhmode und das letzte Buch, das
sie gelesen hatten – ganz so, als würden zwei Freundinnen in einer Kneipe
sitzen. Am nächsten Tag war die Litauerin vom Lkw gezerrt worden. Und Sofia
fühlte sich erneut von aller Welt verlassen. Ware wurde an- und abgeliefert.
Inzwischen war sie davon überzeugt, dass nur sie selbst und zwei Serbinnen, die
auch in Brcko versteigert worden waren, nach Deutschland gebracht werden
sollten. Mit denen konnte sie sich allerdings nicht verständigen.
Bei der letzten Pinkelpause hatte Sofia ein deutsches Autobahnschild
gesehen: Frankfurt 280 km. Inzwischen hockte sie mit einer der beiden Serbinnen
auf der Rückbank eines Mercedes. Ein maghrebinisch aussehender Kerl, der von
seinem Kollegen Sidi genannt wurde, saß am Steuer, neben ihm ein deutscher
Aufpasser, der sie an der polnischen Grenze aus dem letzten Lieferwagen
übernommen hatte. Die andere Serbin war mit zwei Lettinnen von einem
Volvo-Kombi abgeholt worden. Der Deutsche besaß die Statur eines
Kleiderschranks und trug nur ein Muskelshirt unter der Nappalederjacke. Sein
Name war bislang noch nicht gefallen. Beim Umladen hatte Sidi sie und die
Serbin auf Deutsch gefragt, ob sie Ärger machen würden. Die Serbin hatte kein
Wort verstanden und auch Sofia gab vor, nicht zu verstehen. Seitdem unterhielten
sich die beiden Kerle auf den Vordersitzen ungeniert.
»In etwa anderthalb Stunden sind wir da. Was meinst du, sollen wir
die Nutten noch mal durchknallen, bevor wir sie abliefern?«
Sidi schüttelte den Kopf: »Keinen Bock. Denen läuft doch noch das
Sperma von den Polacken die Beine runter. Bevor ich da rangehe, müssen die
Schlampen erst mal duschen.«
Sofia wurde übel. Magensäure stieg hoch, doch sie machte nicht den
Fehler, sich auf Deutsch zu verraten. Auf Rumänisch bat sie, aussteigen zu
dürfen. Der deutsche Aufpasser drehte sich um und wollte sie anblaffen, doch an
ihrem Gesicht sah er, was los war.
»Halt an, Sidi, sonst kotzt die uns die Karre voll.«
Sidi hielt auf dem Standstreifen, Sofia stieg aus dem Wagen und
erbrach sich mehrfach in die Böschung. Sidi und der andere waren auch
ausgestiegen. Sie lehnten mit dem Rücken am Auto, machten eine Zigarettenpause
und achteten nicht auf sie. Sofia schätzte ihre Chancen ab. Sie hatte kaum
Kraft, aber es war weit nach Mitternacht und stockfinster. Nur alle paar
Minuten erhellten die Scheinwerfer eines Autos die Fahrbahn. Sie musste es
versuchen.
Sofia sammelte all ihre Kraft, sprang über die Böschung und rannte
los. Das Stoppelfeld unter ihren Füßen war hart und uneben, sie kam nicht
schnell vorwärts. Nicht schnell genug, dachte sie panisch. Da hörte sie auch
schon Sidis wütenden Schrei hinter sich. Autotüren wurden zugeknallt, mit
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