Paris ist eine Messe wert
sagte ich etwas verdrossen, »du weißt schon, warum.«
» Vox populi, vox dei.
1 Das Volk hat gesprochen, Moussu. Der ›Siebzehnte‹ fiel von der Hand des wackeren Monsieur de Vic.«
»Amen.«
»Moussu?«
»Was noch?«
»Wetten wir!«
»Worauf wetten?«
»Daß Vic es am Ende selber glaubt.«
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|354| ELFTES KAPITEL
Nun, Leser, hätte ich mich darauf eingelassen, hätte Miroul seine Wette gewonnen. Das erfuhr ich achtundzwanzig Monate später, am 27. April 1593, als ich Paris dank des Waffenstillstands verließ, den die beiden Parteien geschlossen hatten, damit die Abgeordneten der Generalstände sich nach Suresnes begeben konnten, um mit den katholischen Königlichen über eine gute und allgemeine Befriedung zu beraten.
Offen gesagt, war auf beiden Seiten scheinheilige List im Spiel, denn die Ligisten hatten vor, die katholischen Royalisten von Navarra zu trennen und sie in den Dienst jenes Königs zu stellen, den die Generalstände wählen sollten, um dem unseren Paroli zu bieten – und Navarra wiederum hatte die Konferenz in der Voraussicht gebilligt, daß die Spannkraft der Liga durch den Waffenstillstand erlahmen werde und das Volk eine solche Lust auf Frieden bekäme, daß man es nachher schwerlich wieder an schwarzes Hungerbrot und Krieg gewöhnen könnte. Und daß Navarra die Ständeversammlung in Suresnes auch für einen großen Wurf seiner Diplomatie zu nutzen gedachte, das wurde mir bei der ersten Unterredung klar, die ich mit ihm hatte.
Ich begleitete Rosny in der Schar seiner Sekretäre zum Lever des Königs, wo ihn wohl an hundert Plagegeister umlagerten, die er im privaten die »Gottschützes« nannte, weil sie ihre Reden unweigerlich mit einem »Gott schütze Eure Majestät« begannen und beschlossen. Und obwohl diese Höflinge nichts wie Seide, Brokat, Perlen und Parfum waren und ich mit meinem demütigen Tuchhändlerkleid fast in der Tapisserie verschwand, entging ich dem raschen Blick doch nicht, den der König nach allen Seiten warf, denn seine Augen kamen an Schärfe seinem fabelhaften Gehör nahezu gleich. Er vernahm, was mit leiser Stimme am anderen Ende des Raums gesprochen wurde, selbst wenn er einem »Gottschütze« zuhörte oder zuzuhören vorgab, der ihm ein Ersuchen vortrug, so wie eben jetzt, wobei dieser Herr ein aufgeputzter und aufgeblasener |355| Esel, Seine Majestät bat, ihm für seine Dienste die Abtei von Bec in der Normandie zu geben, nachdem deren Titular, der Chevalier d’Aumale, dahingeschieden war. Jaja, schöne Leserin! Sie haben recht gelesen, was ich hier schwarz auf weiß schreibe: Der Chevalier d’Aumale, dieser Kirchenräuber und Kinderschänder, war Abt gewesen!
»Sankt Grises Bauch, mein Freund!« sagte der König in seiner spöttelnden Art zu dem Herrn, »wißt Ihr nicht, daß Monsieur de Vic den Chevalier nur erschossen hat, weil er die Abtei von Bec haben wollte?«
Monsieur de Vic – und den Chevalier erschossen haben! Ich staunte nicht wenig. Sagte aber kein Wort dazu, als wir diesen Tempel verließen, wo die Höflinge, wie in jedem Tempel, ihren Gott nur anbeteten, damit Er einen Strahl seiner Sonne auch auf sie scheinen lasse. Und weil Rosny mir zuflüsterte, der König werde gegen Abend nach uns schicken, um uns unbelauscht von Schleicherohren anzuhören, verbrachte ich den Tag mit Rosny, den ich sehr grüblerisch und nachdenklich fand. Weil ich nun ahnte, daß seine Sorgen keine privaten waren, wagte ich ihn schließlich zu fragen, was ihn derart bewege, daß es ihn so wortkarg und traurig machte.
»Befürchtungen, Siorac! Alle möglichen Befürchtungen«, sagte er. »Philipp II. bedrängt die Generalstände, einen König zu wählen, und etliche Katholiken unter den Königlichen sind gesinnt, einen Thronanwärter ihrer Wahl zu unterstützen: entweder den jungen Kardinal von Bourbon oder Nemours oder den jungen Guise oder den Sohn von Mayenne. Und wer immer es sei, soll er die Infantin Clara-Isabella-Eugenia heiraten, womit alle Welt, auch Spanien, versöhnt wäre – auf dem Buckel Navarras und seiner Hugenotten.«
»Mein lieber Rosny«, sagte ich lächelnd, »genauso wie ich als Arzt behaupte, daß zuviel Blutandrang im Gehirn zum Schlagfluß führt, meine ich, daß die Menge der Kandidaten einen Zusammenprall der Ansprüche erzeugen wird, von welchem der König nur profitieren kann. Im übrigen, was ist ein gewählter König? Frankreich ist nicht Polen! In Frankreich wird ein König nicht gemacht. Er ist es! Er ist es nach dem
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