Parrish Plessis 01 - Nylon Angel
mehr über meine Muskeln; sie schienen nicht länger mir zu gehören. Ich atmete lang und tief ein, um mich zu beruhigen.
Die Frau, die den Sarg bedient hatte, stand auf, und die Halogenlampen wurden heller.
»Sie wird es überleben.«
Die Frau kam zu meiner Liege, musterte zunächst meine zerrissenen Kleider und blickte dann auf mich herab. »Wann war der genaue Zeitpunkt des Unfalls?«
Daac schob sich neben sie. Mit ihrem Kopf reichte sie ihm gerade einmal bis zum Ellbogen. Neben seiner schieren Größe wirkte sie sehr zerbrechlich, doch in ihren blassen Augen schimmerte eine scharfe, kühle Intelligenz. Die Pigmentierung ihres Gesichts ließ mich stutzen. Zwei entzündete rote Muttermale unter ihren Augen, die auf ihrer Nase zusammenliefen, verliehen ihrer Erscheinung einen tragischen, geschundenen Charakter – als hätte man ihr mit einem Schlag die Nase gebrochen, oder als gehöre sie zu einem bizarren Kult. Sie trug die Male offen zur Schau.
Ich fühlte, dass sie eine natürliche Abneigung gegenüber Fremden empfand – gegenüber Leuten, die sie noch nie zuvor gesehen hatten –, und ich konnte die Frau verstehen. Sie wurde mir mit einem Male sympathisch. Im Tert bezahlten die Leute ein Vermögen für eine solche Hautanomalie. Mit ihr geboren zu werden war natürlich etwas vollkommen anderes.
»Der Unfall hat sich kurz vor unserem Telefonat ereignet. Das kann höchstens ein paar Stunden her sein. Warum?«, fragte Daac.
»Das ist beeindruckend«, antwortete die Frau. »Die Scans zeigen drei Rippenbrüche…«
»Genau, wie ich gedacht habe«, unterbrach Daac sie.
Mit einer überlegenen Geste legte sie eine ihrer aschfahlen Hände auf Daacs Handgelenk. »Ja, aber diese Verletzungen hier könnten von einem Unfall stammen, der bereits vor zwei Wochen passiert ist. Der Heilungsprozess ist bereits sehr weit fortgeschritten.«
»Das ist unmöglich«, entgegnete er.
Sie sahen mich beide fragend an, als erwarteten sie eine Erklärung von mir.
Ich konnte nur mit den Schultern zucken. Im Ernst, was hätte ich denn sagen sollen? Der Engel hat mich geheilt?
»Ich habe halt gute Gene?«, versuchte ich es behutsam.
»Drogen?«, fragte Daac.
»Nein.« Die Frau schüttelte den Kopf. »Ich habe sie getestet. Abgesehen von ihrem Geruchsverstärker und ihrem Kompass-Implantat habe ich nur eine einzige Abweichung entdecken können, wahrscheinlich durch Chemikalien oder andere Zusätze hervorgerufen.«
»Und? Was war es?« Daac kam mir mit seiner Frage zuvor. Über wessen Körper redeten wir hier eigentlich?
»Ihre Nebennierendrüsen zeigen eine außergewöhnliche Aktivität; doch das könnte auch ein Resultat ihres gefährlichen Lebensstils sein. Ich nehme an, dass sie einer dieser Typen ist, die ihren Körper vermieten.«
Ich ein Typ, der seinen Körper vermietet?
Über diese Beschreibung sah ich geflissentlich hinweg, nicht aber über ihren hochnäsigen Tonfall. Nicht einmal Rene – meine Mutter – sprach so mit mir.
Rene!
Ich hatte schon eine ganze Weile nicht mehr an sie gedacht. Als ich die Vorstadt verlassen hatte, waren ihre Neuronen so mit rosaroten Wunschträumen überflutet gewesen, dass sie mein Weggehen nicht registriert hatte. Sie bemerkte auch nicht, dass Kevin nur wegen des Geldes bei ihr blieb. Wenn man wie meine Mutter von Neuroendokrinen abhängig war, brauchte man ohnehin nicht viel Geld. Diese Leute aßen nicht viel und hatten auch ansonsten keine großen Bedürfnisse.
Und Kat. Meine kleine Schwester Kat! Wahrscheinlich wusste auch sie nicht, dass ich unsere Familie verlassen hatte. Kat, die Proball-Spielerin. Kat, die perfekte Athletin. Die Leute behaupteten, dass wir uns sehr ähnlich seien. Wenn ich nur gewusst hätte, worin…
»Parrish? Parrish? Hörst du zu?«
Meine Gedanken fanden langsam wieder in die Gegenwart zurück. Abrupt zuckte mein Bein über den Rand der Pritsche und berührte die Ärztin am Arm. Reflexartig wich sie zurück, als hätte ich sie kontaminiert.
»Ja, es geht mir gut. In der Tat geht es mir sogar schon viel besser. Wo bin ich hier überhaupt?«
Daac atmete verärgert aus. Er hatte einige Mühe auf sich genommen, um mich hierher zu schaffen, und nun schien mein Zustand überhaupt nicht so ernst zu sein, wie es den Anschein gehabt hatte.
»Parrish Plessis, darf ich dich mit Dr. Anna Schaum bekannt machen.«
Ich biss mir auf die Zunge und hielt ihr auf Tert-Manier meine Knöchel hin. »Danke für die Hilfe. Und jetzt wüsste ich gerne, wie ich hier
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