Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)
atmete tief durch. Sie könnte gerade eben auf eine Spur gestoßen sein!
Von polizeilichen Ermittlungen hatte sie zwar keine Ahnung, aber sie nahm an, dass man sich bei der Suche nach Verdächtigen nicht von Äußerlichkeiten beeinflussen lassen durfte, denn wenn dem so wäre, dann müsste dieser Brian Sundler ganz oben auf der Liste der Verdächtigen stehen. Von seinem Erscheinungsbild her passte er perfekt ins Schema: Hooligan. Gewalttäter. Aber auch Serienmörder? Nun, zumindest wohnte er garantiert nicht dort, wo er angegeben hatte zu wohnen!
Joana notierte Zimmernummer, Name und falsche Adresse des Engländers und strich die letzten beiden Nummern 349 und 225 durch, weil es sich bei den Gästen dieser Zimmer um ältere Ehepaare handelte.
Dann klopfte sie mit dem Stift auf den Schreibtisch und dachte nach.
Aus den insgesamt 874 Personen, die in den letzten sechzehn Tagen seit den mysteriösen Todesfällen hier genächtigt hatten, hatte sie zwei Verdächtige herausgefiltert. Eigentlich konnte sie nun nichts weiter tun, als ihre bisherigen Überlegungen und Recherchen der Guardia Civil mitzuteilen, nur in dem einen Fall mit dem »Gast« von 107 war das freilich ein wenig heikel: Narcís war der Protegé des Direktors. Eigentlich stammte der Junge aus Girona in Katalonien wie Carlos selbst und der Rest der prächtigen Familie. Carlos’ Bruder – ebenfalls Direktor eines jedoch deutlich kleineren Hotels in Girona, wie man munkelte – hatte Carlos offenbar gebeten, seinen nichtsnutzigen Sohn für das besagte Praktikum anzustellen. Wahrscheinlich kam er mit Narcís nicht zurecht und hoffte, dass der Onkel am südlichen Zipfel Spaniens ihm die Flausen schon austreiben würde. Ein Plan, der bisher komplett fehlgeschlagen war. Narcís war fünfundzwanzig Jahre alt, hatte sein Studium abgebrochen und war nur an Partys und Mädchen interessiert. Und bei der Arbeit im »Palace« eckte er mit allen an.
Leider genoss der Neffe des Chefs so etwas wie Narrenfreiheit, bis auf einige Gelegenheiten, wo er es dann doch zu weit trieb. Joana erinnerte sich daran, wie sich ihre Mutter vor Wochen bei Carlos darüber beschwerte, dass Narcís’ Zimmer im ersten Stock, für dessen Reinigung sie verantwortlich war, aussähe, als hätte dieser dort einen Polterabend gefeiert: Leere Sekt- und Bierflaschen lagen auf dem Teppichboden, der einen guten Teil der Flüssigkeiten hatte aufsaugen müssen. Essensreste waren auf dem Schreibtisch verstreut und der Terrassenboden war voll mit Zigarettenstummeln. Zudem hing über der Nachttischlampe ein schlaffes Kondom. Ihre Mutter weigerte sich damals, das Zimmer zu reinigen. Carlos aber teilte den Raum einfach einer anderen Reinigungskraft zu, anstatt dem Jungen die Leviten zu lesen.
Joana sog die Luft ein. Würde das als Motiv ausreichen? War dieser dumme Junge tatsächlich dazu fähig, eine Reinigungskraft zu ermorden, nur weil sie ihn bei seinem Onkel verpfiffen hatte?
Sie dachte nach. Narcís hatte in den letzten Wochen verschiedene Hotelbereiche durchlaufen. Zuerst war er dem Wellnessbereich zugeteilt gewesen, bis ihn Alejandro, der dortige Leiter, samt Bekleidung in den Indoor-Pool stieß, weil Narcís ihm den Stinkefinger gezeigt hatte – Narcís’ ganz persönliche Antwort auf Alejandros Auftrag, doch bitte frische Handtücher auf die Liegen zu legen. Nach diesem Zwischenfall kam Narcís ins Büro, damit Carlos ein Auge auf ihn werfen konnte. Dort aber blieb er nicht einmal drei Tage, weil einer seiner Dispute mit Belen, die ihn in das Buchungsprogramm einschulen sollte, in einer Ohrfeige endete. Belen hatte ihm kräftig eine gescheuert, nachdem Narcís ihr eine Packung Batterien mit den Worten »Am besten, du tauschst mal die Batterien deines Vibrators aus, vielleicht entspannst du dich dann wieder!« in die Hand gedrückt hatte. Danach wurde der Junge von Carlos dazu verdonnert, in der Küche des Hauptrestaurants die Teller zu waschen, dort, wo auch Elena im Service arbeitete.
Joana rieb sich die Schläfen. Die beiden arbeiteten also seit etwa drei Wochen im selben Bereich. Sind sie dabei aneinandergeraten? Gar nicht so unwahrscheinlich. Bei Narcís konnte man davon ausgehen, dass er Elena angebaggert hatte, da Elena wohl als Einzige unter den weiblichen Restaurantbediensteten in sein Beuteschema passte. Genauso vorstellbar war auch, dass Elena diesen missratenen Macho abblitzen ließ, wodurch sich ein möglicher Konflikt zwischen den beiden automatisch ergeben hätte. Niemand
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