Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)
von Drogenkonsum, aber es fanden sich weder schorfige Einstichstellen an den Unterarmen, noch besondere Symptome in der Iris, womit er bis auf Weiteres ausschloss, dass es sich um einen goldenen Schuss handelte. Wenn es nicht gerade Rocksänger waren, wurden Drogentote auch meist eher in verlassenen Lagerhallen oder sonstigen verwahrlosten Bruchbuden aufgefunden – aber eben nicht in einem Fünf-Sterne-Hotel.
Xaver Huber hingegen, neunundzwanzig Jahre alt, wohnhaft in München, war ein normaler Tourist mit einem andalusischen Reiseführer in der Tasche. Er lag, mit einer Jeans und einem grauen T-Shirt bekleidet, auf seiner linken Seite auf der Tagesdecke. Nicht einmal die Schuhe hatte er ausgezogen. Das Bett selbst wurde offensichtlich nicht benutzt, denn die Leinentücher unter der Tagesdecke waren noch genauso gefaltet, wie das Zimmermädchen es nach jeder Reinigung machte. Die Szenerie ließ darauf schließen, dass der junge Mann sich kurz ausgeruht und dabei die Nachrichten verfolgt hatte. Anschließend hatte er vielleicht aufbrechen und den Ort erkunden wollen, aber das war schon Spekulation. Stattdessen war der junge Mann eingeschlafen … und nicht wieder aufgewacht.
Señor Castillo streifte die Handschuhe ab und kratzte sich an der Stirn. Aufgrund der Körpertemperatur des Toten musste dieser hier schon seit dreizehn oder vierzehn Stunden liegen. Da der junge Deutsche gestern um acht Uhr abends noch in der Cafeteria gesehen wurde, musste der Tod einer ersten Einschätzung nach zwischen einundzwanzig und dreiundzwanzig Uhr des gestrigen Tages eingetreten sein.
Señor Castillo packte seinen Koffer und teilte seine Erkenntnisse dem Untersuchungsrichter mit. Hier kam er nicht weiter und er hatte sich ohnehin dazu entschlossen, sich den Toten näher anzusehen: Er würde den Leichnam im forensischen Institut in Granada obduzieren. Dies würde nur einen Tag dauern, aber aufgrund von Verdachtsmomenten an Augapfel, Zunge und Gesichtsfarbe hatte er sich ebenfalls dazu entschlossen, Gewebeproben des Toten an das toxikologische Institut nach Sevilla zu senden. Es würde ihn nicht wundern, wenn die Mediziner dort Substanzen in dem Körper fänden, die darin nichts zu suchen hatten. Das dauerte in der Regel vier bis fünf Tage. Erst dann wüssten sie Bescheid, was hier letzte Nacht wirklich vorgefallen war. Er selbst hatte da jedenfalls schon so einen Verdacht.
Sie trommelte mit den Fäusten auf den Kofferraum und rannte hinter seinem Wagen her, aber er beschleunigte, dass die Reifen durchdrehten, und ihr blieb nichts anderes übrig, als ihm nachzuschreien, bis die roten Rücklichter hinter einer Kurve verschwanden. Sie wandte sich zum Hotel und dachte einen Moment lang daran, ihr Moped zu holen, und ihm zu folgen, aber wozu das alles?
Es war sinnlos.
Sie schluchzte und raufte sich die Haare.
Dann hielt sie inne und ihr Herz schlug bis zum Hals – ein Wagen bog auf den Parkplatz ein. Kam er etwa zurück, um sie um Verzeihung zu bitten? Der Wagen aber passierte sie in einiger Entfernung und als er im Lichtkegel des Hoteleingangs zu stehen kam, erkannte sie ihren Irrtum: Es war nur ein weiteres Taxi mit Hotelgästen.
Sie wandte sich ab, wich in die Schatten zurück und blieb ratlos stehen. Ihre Lippe brannte, mit dem Finger fuhr sie sich darüber und zuckte vor Schmerz zusammen. Bitteres Blut sammelte sich in ihrem Mund. Sie zückte einen Spiegel: Die Lippe war geschwollen und das verronnene Mascara zeichnete ein Blitzmuster auf ihre Wangen – so konnte sie unmöglich zurück an die Arbeit.
Schluchzend überquerte sie die Straße vor der Hoteleinfahrt und tauchte in den Pinienwald ein. Ihre spitzen Absätze versanken im feuchten Waldboden, sie kämpfte sich ein paar Schritte durch die Düsternis, fand einen Baumstumpf, setzte sich und ließ ihren Tränen freien Lauf: Am liebsten wollte sie sterben – nein, am liebsten würde sie ihn umbringen, diesen hijo de puta , dachte sie, ballte die Fäuste und grub dabei die Nägel so tief in das Fleisch, als könnte dieser äußere Schmerz den inneren vertreiben.
Es dauerte einige Minuten, bevor sie ihre Gedanken sammelte: Als er sie vor einer Woche zum ersten Mal geschlagen hatte, tat sie etwas, das sie gleich darauf bitter bereute.
Sie wählte die Nummer.
Aus Rache natürlich, sie wollte ihn verletzen, dennoch war sie nicht so kopflos gewesen, nicht daran zu denken, ihre eigene Rufnummer zu unterdrücken. Ja, sie hatte sogar den Hörer mit einem Tuch abgedeckt und
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