Patterson, James - Alex Cross 04 - Wenn Die Mäuse Katzen Jagen
nicht ändern. Das FBI wollte mich dort haben, deshalb verdrängte ich den unguten Gedanken, ich versuchte es jedenfalls. Ich tat meine Pflicht, genau wie Dr. Cross das unter vergleichbar unglücklichen Umständen für mich getan hätte.
Eins war mir vom Augenblick meiner Ankunft an bewußt: daß ich genauso schockiert und empört aussah wie alle anderen, die sich um das Haus in der Fifth Street versammelt hatten. Für etliche sah ich vermutlich sogar zornig aus. Ich war zornig. In meinem Kopf herrschte Chaos, ich war voller Angst vor dem Unbekannten, auch voller Panik vor dem Versagen. Ich war einer Geistesverfassung nahe, die eigentlich »durchgeknallt« genannt werden müßte. Zu viele Tage, Wochen, Monate hintereinander hatte ich mich mit Mr. Smith beschäftigt, und jetzt diese neuerliche Katastrophe.
Ich hatte einmal bei einem Seminar über die Erstellung von Täterprofilen an der University of Chicago einen Vortrag von Alex Cross gehört. Er hatte Eindruck hinterlassen. Ich hoffte, daß Cross überlebte, aber die Meldungen verhießen nichts Gutes. Nichts, was ich bis jetzt gehört hatte, ließ viel Raum für Hoffnung.
Ich nahm an, daß das der Grund dafür war, warum ich sofort hinzugezogen worden war. Der niederträchtige Anschlag auf Cross bedeutete fette Schlagzeilen und setzte sowohl die Polizei von Washington als auch das FBI unter ungeheuren Druck. Ich war aus dem allereinfachsten Grund in der Fifth Street: um den Druck zu lindern. Ich spürte eine ungute Aura, die Nachwehen der kürzlich verübten Gewalt, als ich mich dem ordentlichen, mit weißen Schindeln gedeckten Haus von Cross näherte. Etliche Polizisten, an denen ich vorbeikam, hatten verweinte Augen, viele schienen fast unter Schock zu stehen. Es war alles sehr merkwürdig und beunruhigend.
Ich fragte mich, ob Alex Cross seit meinem Aufbruch aus Quantico gestorben war. Ich hatte schon ein Gespür für die entsetzliche und unerwartete Gewalt entwickelt, die sich in dem bescheidenen, friedlich aussehenden Haus abgespielt hatte, und wünschte mir, daß sonst niemand am Tatort wäre, damit ich alles ohne viel Ablenkung in mich aufnehmen könnte. Auch deshalb war ich hierhergeholt worden, um den Tatort eines umfaßbaren Blutbads in Augenschein zu nehmen, um ein instinktives Gefühl dafür zu bekommen, was in den frühen Morgenstunden geschehen sein mochte, um alles schnell und effektiv zu erfassen.
Aus dem Augenwinkel sah ich, daß Kyle Craig aus dem Haus kam. Er hatte es wie immer eilig. Ich seufzte. Jetzt ging es los. Kyle überquerte die Fifth Street im Laufschritt, kam zu mir, und wir schüttelten uns die Hände. Ich war froh darüber, daß er hier war. Kyle ist klug und bestens organisiert. Außerdem unterstützt er diejenigen, die mit ihm zusammenarbeiten, bedingungslos. Er ist berühmt dafür, daß er Nägel mit Köpfen macht.
»Sie bringen Alex gerade ins Krankenhaus«, sagte er. »Sein Zustand ist äußerst kritisch.«
»Wie sieht die Prognose aus? Sagen Sie mir die Wahrheit, Kyle.« Ich mußte alles wissen. Ich war hier, um die Fakten zusammenzutragen. Damit fing immer alles an. Kyle wich meinem Blick aus.
»Nicht gut. Sie sagen, er wird es nicht schaffen. Sie sind sogar sicher, daß er es nicht überleben wird.«
71.
Die Medienvertreter fingen Kyle und mich ab, als wir auf das Haus von Cross zugingen, es waren bereits zwei Dutzend Reporter und Kameraleute am Tatort. Die Geier versperrten uns wirksam den Weg, wollten uns nicht durchlassen. Sie wußten, wer Kyle war, wußten möglicherweise sogar auch über mich Bescheid.
»Warum ist das FBI so schnell hinzugezogen worden?« rief ein Reporter über den Straßenlärm und die allgemeine Unruhe hinweg. Über uns schwebten zwei Pressehubschrauber. Sie liebten solche Katastrophen.
»Wir haben gehört, daß es eine Verbindung zum Fall Soneji gibt. Ist das wahr?«
»Lassen Sie mich mit ihnen reden«, flüsterte Kyle mir zu.
Ich schüttelte den Kopf.
»Die werden sowieso mit mir darüber reden wollen. Die kriegen schnell raus, wer ich bin. Bringen wir also den dämlichen Scheißkram hinter uns.«
Kyle runzelte die Stirn, nickte dann aber langsam. Ich versuchte, meine Ungeduld zu zügeln, als ich auf die Reportermeute zuging.
Ich wedelte mit den Händen über dem Kopf, und das brachte etliche von ihnen zur Ruhe. Journalisten reagieren äußerst sensibel auf Visuelles, wie ich schon mehrmals erfahren mußte, auch die Zeirungsjournalisten, die sogenannten Wortschmiede. Sie sehen alle
Weitere Kostenlose Bücher