Paula geht
richtig unterhalten zu können. Er war ein Einsiedlerkrebs, dieser Ralf, das war eindeutig, aber war sie das nicht auch? Und er schien ganz genaue Vorstellungen zu haben, die er auch umsetzte. Sie hatte großen Respekt vor dem, was er da geschaffen hatte. Dagegen war so eine kleine Hausrenovierung doch ein Klacks. Zwischendrin hatte es schon knisternde Momente gegeben. Aber so richtig ihr Typ war er nicht. Warum konnte sie nicht genau sagen. Vielleicht hatte er zu starre Vorstellungen vom Leben und wie es zu sein hatte? Und sie war zu alt für seine Familienpläne, insofern fühlte sie sich auf der sicheren Seite. Aber es wäre schön, ihn als Freund zu gewinnen. Mist, jetzt hatte sie vergessen, ihn wegen Käthe zu fragen. Aber da ihr Kuchenblech noch bei ihm war, würden sie sich vermutlich bald wiedersehen.
Die Ziegen! Sie schlug sich an die Stirn. Sie hatte für jede zu Weihnachten einen dicken Salatkopf gekauft und zog sich an, um ihnen guten Morgen zu wünschen. Der Boden dampfte, dort, wo die ersten Sonnenstrahlen hintrafen , aus dem See stiegen Nebelschwaden auf. Sie freute sich erneut am Blick in die Weite und dass nach hinten hinaus kein Haus die Sicht versperrte. Sie trat in den Stall – und prallte zurück. Dann wagte sie sich vorsichtig näher. Käthe hatte nicht gewartet, bis Paula sich endlich nach einem Tierarzt und dem Geburtsablauf erkundigt hatte. Sie hatte einfach gehandelt und sah sehr zufrieden aus. Zwei kleine Ziegenkinder lagen vor ihrem immer noch dicken Bauch. Ein geflecktes und ein fast schwarzes. Ganz langsam ging Paula in die Knie und merkte, wie ihr die Tränen über die Wangen liefen. „Käthe, das hast du toll gemacht.“ Sie streichelte sie behutsam. Selbst Camilla blickte heute freundlicher.
„Darf ich mir deine Kleinen mal ansehen? – Was sind sie denn, Junge oder Mädchen?“ Sie traute sich nicht nachzuschauen. Das würde sie schon noch merken und konnte bis dahin ja über Namen nachdenken. Mensch, was ich alles erleben darf, dachte sie immer noch gerührt, und das muss ich Ralf erzählen. Sie merkte nicht, wie ihre Hose durchweichte, und kniete gedankenverloren vor den kleinen Geschöpfen, denen es an nichts im Leben zu fehlen schien.
Einige Stunden später stand Paula selbst am Feiertag vor der Wand im ehemaligen Wohnzimmer. Immerhin, sie hatte nun zwei bewohnbare Zimmer: die Küche und ihr Schlafzimmer. Derzeit dachte sie darüber nach, ihr Wohnzimmer im oberen Stock einzurichten, dann hätte sie im Erdgeschoss Platz für einen Praxisraum. Das andere kleine Zimmer könnte das Wartezimmer werden. Noch hatte sie die Heilpraktikerprüfung nicht bestanden, aber sie arbeitete sich abends immer ein bis zwei Stunden durch ihre Lernunterlagen. Derzeit war sie zuversichtlich, dass sie es im März einfach probieren würde. Zur Not hätte sie die Prüfungsgebühren versemmelt, und dann könnte sie die Prüfung im Oktober wiederholen. Sie hoffte aus finanziellen Gründen, dass sie höchstens zwei Anläufe benötigen würde. Aber es machte ihr Spaß, ihr medizinisches Wissen aufzufrischen und zu erweitern.
Doch derzeit hatte sie andere Probleme. Ihr Spachtel stieß immer wieder in weiches Material. Nicht schon wieder! Gerade eben hatte sie auch schon so eine feuchte Stelle entdeckt, aber nun bröckelte der Putz in großen Placken von der Wand. Sie konnte die ansonsten schwer zu lösenden Tapetenschichten mit einem Ruck abziehen und sah das volle Ausmaß der Zerstörung. Die eine Wohnzimmerwand starrte ihr mit Schimmelpilzen der unterschiedlichsten Farben und Ausdehnungen entgegen. Jetzt wusste sie endlich, woher der modrige Geruch kam, dem sie mit Duftstäbchen beizukommen versucht hatte. Vorsichtig stocherte sie mit dem Spachtel tiefer. Die Mauer schien bis in die Tiefe angegriffen zu sein.
Paula setzte sich auf eine Kiste und stützte den Kopf in die Hände. Klar, damit musste sie rechnen, sagte sie sich. Ein altes Haus hat seine Gammelecken, das wusste doch jeder. Aber verflucht nochmal, nach dem Ärger mit der Elektrik hätte das doch jetzt an ihr vorbeigehen können! Vielleicht kam der Moder von den alten Balken des Ziegenstalls, die hier Wand an Wand mit der Wohnhausmauer standen.
Sie lief nach draußen, um ihre Theorie bestätigt zu finden: Die morschen Balken des Ziegenstalls leiteten die Feuchtigkeit in das bröckelige Mauerwerk. Vielleicht könnte man den Ziegenstall ein Stück vom Haus weg bauen und die Mauer würde von alleine abtrocknen und könnte neu verputzt
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