Paula geht
Dame längst ausgezogen war und, wie sie stolz bei jeder Gelegenheit erzählte, in Oxford Wirtschaftswissenschaften studierte.
Jetzt hatte er sie richtig in Rage gebracht. Sie drängte sich wieder durch die Wartenden zurück und baute sich vor Ralf auf, den sie um einige Zentimeter überragte. „Sie, Sie ...“, Ralf schaute sie erwartungsvoll an, Nathan knurrte. „Sie Bauer!“, zischte sie, dann ergriff sie die Flucht und fuhr mit quietschenden Reifen davon. Paula applaudierte, zwei jüngere Frauen fielen zögernd ein.
Frau Hansen schaute etwas unglücklich, da sie heute auf ihr Trinkgeld verzichten musste.
Paula griff ihren Korb und die vollgepackte Tüte und trat aus der Schlange. Als sie an Ralf vorbeiging und ihm zunickte, hielt er sie am Ärmel zurück. „Hast du einen Moment?“
Paula konnte schlecht nein sagen und stellte ihre Einkäufe ab. Ralf nahm ganz selbstverständlich die schwere Tüte und löste sich aus der Schlange. Paula kraulte verlegen Nathan, der sich an sie schmiegte. „Musst du nichts einkaufen?“
„Ach, das hat Zeit. Wie geht’s dir?“
Paula schaute ihn prüfend an. War er wirklich so locker, wie er gerade tat? Er sah nicht gut aus. Tiefe Ringe lagen um seine Augen. Die Konturen seines Gesichts wirkten nicht mehr so holzschnittartig, sondern eher aufgedunsen. „Mir geht’s gut, wie immer gibt’s viel zu tun. Aber immerhin gerade keine neuen Hiobsbotschaften von der Hausfront.“
Ralf nickte. „Komm, ich begleite dich nach Hause.“
Paula überlegte hektisch, mit welcher Ausrede sie ihm den wohlverdienten Tee vorenthalten konnte, wenn er ihr schon die Einkäufe trug. Sie hatte wirklich keine Lust auf ein weiteres Beziehungsgespräch, und sich noch einmal zu entschuldigen, hatte sie noch weniger Lust. Geschehen war geschehen. Jetzt mussten sie weitermachen.
Während sie nebeneinander hergingen, sagte Ralf freundlich: „Mach dir keinen Kopf meinetwegen. Ich werd ’ schon wieder. Unkraut vergeht nicht.“
Paula blickte ihn überrascht an. Sie hätte ihn für hartnäckiger gehalten. Sie zuckte mit den Schultern und wusste nicht, was sie sagen sollte. Die Luft roch so intensiv nach Frühsommer, und als sie dann noch an einer mit frischer Wäsche bestückten Leine vorbeikamen, erinnerte sie sich an die Nacht mit Ralf, die sie wirklich gut in Erinnerung hatte. Verstohlen schaute sie zu ihm rüber, ob er vielleicht gerade das Gleiche dachte. Aber er musterte eingehend die Bepflanzung der Vorgärten. „Was macht deine Lernerei?“, fragte er.
Paula erzählte noch ein wenig von den neuesten medizinischen Skurrilitäten, die sie sich gerade eingeprägt hatte. „Wusstest du, dass der Dünndarm bis zu fünf Meter lang ist? Hast du schon gehört, dass etwa ein Viertel der Menschen niesen müssen, wenn sie in die Sonne schauen? Das ist der sogenannte photische Niesreflex.“
Ralf gab sich beeindruckt.
„Oder hast du gewusst, dass Spermien riechen können? Sie springen auf einen maiglöckchenartigen Duft an, den die Eizelle absondert.“ Oh Paula, hör auf Ralf mit solchen Themen zu kommen, du bist echt unsensibel.
Das Thema schien ihn tatsächlich in die Flucht zu jagen. Er verabschiedete sich mit Handschlag von ihr. Sie mochte seine raue, kräftige Hand. Und er zog den widerstrebenden Nathan, der gerne noch die Ziegen besucht hätte, zurück in Richtung Marktplatz. Paula sah den beiden nach. Irgendwie wurde sie das Gefühl nicht los, dass hier etwas faul war.
Kapitel 17
„Gib mir doch mal bitte den Zollstock.“ Paula reichte ihn Sven nach oben. Der klemmte auf der obersten Leiterstufe und zeichnete die Löcher für die Regalbohrungen in ihrem neuen Praxisraum an.
Sie hatten stillschweigend versucht, ihre Beziehung so wieder aufzunehmen, wie sie vor dem Motorradausflug gewesen war. Paula fand aber nicht, dass sie schon zum alten lockeren Umgang zurückgefunden hatten.
„Magst du wenigstens ein Bier?“
Sven schüttelte den Kopf. Er arbeitete bereits den ganzen Abend ohne Pause. Und wenn er ihr schon nach Feierabend bei ihrer zukünftigen Praxis half, wollte sie ihn wenigstens verwöhnen. Paula setzte sich auf ihren mächtigen Schreibtisch und ließ die Beine baumeln. „Wie läuft‘s denn bei dir zurzeit auf der Arbeit?“
„Beschissen.“
Sie beschloss weiterzufragen, auch wenn Sven schlechte Laune hatte. Alles war besser als dieses schweigende Arbeiten. „Woran liegt‘s dieses Mal?“, erkundigte sie sich vorsichtig.
„Erst hat er Harald ausgebeutet
Weitere Kostenlose Bücher