Pelte, Reinhard
von der Amtskirche wahrscheinlich nicht toleriert werden.«
»Sein Engagement entlarvt ihn ja geradezu selbst. Sagtest du nicht, die Haushälterin sei eifersüchtig auf seine Jungs? Wo sind die Mädchen? Gibt es keine auf Föhr?«
»Ja, stimmt, das war auffällig.«
»Tomi, es ist doch überhaupt keine Frage, dass er etwas vor sich und seiner Umgebung verbirgt. Seine Lage muss so total bedrückend sein, dass er die Birnen aus den Leuchten über dem Spiegel dreht, weil er seinen eigenen Anblick nicht erträgt. Er sprüht sich ein, um sich nicht riechen zu müssen. Er hat einen fauligen Atem, sonst bräuchte er kein Mundwasser. Er schluckt starke Antidepressiva, um einigermaßen funktionieren zu können. Die Nebenwirkungen helfen ihm zusätzlich, sich nicht zu outen oder auffällig zu werden. Er trinkt keinen Alkohol, nicht einmal Wein, und arbeitet wie ein Idiot. Wenn der nicht etwas zu kompensieren hat, wer denn sonst? Ich habe das sichere Gefühl, dass das Verschwinden des Mädchens damit zu tun hat. Der Wimpel in seiner Werkstatt – wie treffend und sinnig übrigens – ist Hinweis genug. Und es gibt etliche Hinweise mehr.«
»Welche?«, fragte Jung kühl.
»Seine Abwesenheit von der Insel und seine nachträgliche Unruhe. Beides fällt in die Zeit, als das Mädchen verschwand.«
»Das könnte ich genauer überprüfen.«
»Mach das. Ich bin mir sicher, dass du fündig wirst.«
Svenja hatte sich erregt. Jung war beeindruckt, jedoch etwas skeptisch. Für das Herausdrehen von Glühbirnen könnte es ganz banale Gründe geben. Und zu überdosierten Parfüms neigten auch andere ohne kriminellen Hintergrund, besonders Frauen. Das Antidepressivum brauchte er vielleicht gar nicht mehr, ebenso wie das Mundwasser. Könnte es nicht einfach nur vernünftig sein, keinen Alkohol zu trinken? Und wenn er Spaß an seiner Arbeit hatte, warum sollte er davon zu viel kriegen? Nur der schwarz-weiße Wimpel war ein Zeichen, das nicht einfach auf diese Art relativiert werden konnte. Darüber hinaus war die zeitliche Koinzidenz zwischen dem Verschwinden des Mädchens und den nachfolgenden Veränderungen von zwei Seiten unabhängig voneinander bezeugt worden. Aber auch das könnte ganz andere Gründe haben.
»Was könnte er denn außer seiner Homosexualität noch kompensieren wollen?«, fragte Jung vorsichtig.
»Ich glaube, Immo weiß das«, erwiderte sie. »Er gibt sein Wissen nicht preis, weil es seine bürgerliche Existenz gefährden könnte. Und Udos vielleicht auch.«
»Deswegen verleugnet Immo alles, einschließlich Udo«, sagte Jung sinnend. »Wie könnte ich ihn zum Reden bringen?«
»Ich würde mich lieber an den Pastor halten. Die Kirchenleute haben ein gut trainiertes Gewissen. Sie sind es gewohnt, zur Beichte zu gehen. Das gefällt ihnen.«
»Du meinst, ich soll als Beichtvater auftreten?«
»Ja. Du hast doch überhaupt keine Beweise für seine vermeintliche Schuld oder Mitschuld an dem Verschwinden des Mädchens. Aber wenn er Schuld auf sich geladen hat, dann musst du ihn dazu bringen, freiwillig damit herauszurücken. Du hast doch der Haushälterin nicht gesagt, wer du bist, oder?«
»Nein, ich bin sein alter Klassenkamerad, weiter nichts.«
»Und das Klassentreffen bei Immo hast du auch nicht erwähnt?«
»Nein. Ich kam als unbeschriebenes Blatt und ging auch so.«
»Dann ist ja alles in Butter, mein Bester. Sehr gut gemacht«, lobte sie. »Du hast genug in der Hand, ihm langsam einzuheizen und ihn sanft unter Druck zu setzen.«
»Warum bist du eigentlich nicht bei der Kripo?«, bemerkte Jung nach einer kurzen Denkpause und sah seine Frau an. »Du würdest dich als Ermittlerin gut machen.«
»Ach, Tomi. Warum greifen Frauen nicht mit gleicher Selbstverständlichkeit zu Berufen wie Männer? Doch nicht etwa weil sie blöder sind, oder?«
Sie schwiegen, während sie sich in die Augen blickten.
»Fahr rüber und bringe ihn zum reden«, sagte Svenja abschließend. »Dann wird sich dein Fall klären. Ich bin mir ganz sicher.«
Jung nickte. Ihre Sicht auf die Dinge hatte eine beeindruckende Evidenz. Die spärlichen Fakten fügten sich nahtlos ein. Aber zu wenig war wirklich zu beweisen.
Der Inselpastor
Es hatte aufgehört zu regnen. Der Wind hatte nicht nachgelassen und wehte milde Luft in den Norden. Die Wolkendecke riss langsam auf, und die ersten blauen Löcher waren am Himmel zu sehen.
Der Verkehr auf dem Weg nach Dagebüll war dünn. An den Straßenrändern und Knicks schmolzen die Reste der riesigen
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