Perlentod
war, hab ich die Gelegenheit genutzt und ganz offen mit ihr geredet. Sie war auch total verständnisvoll und irgendwie hab ich geglaubt, dass ihr noch etwas an mir liegt. Aber am nächsten Tag ist es dann passiert.«
»Was ist passiert?«, schon der Gedanke daran, was die Clique getan haben könnte, ließ Sentas Herz schneller schlagen.
»Wir waren alle zusammen auf einer Wanderung. Lolle hat sich mit mir hinter der Gruppe zurückfallen lassen. Angeblich wollte sie mir etwas Wichtiges sagen. Als kein anderer mehr zu sehen war, hat sie mich hinter einen kleinen Felsen geführt… na ja und da waren dann plötzlich auch Miriam, Rita und Kim«, Rebecca stockte und Senta ließ den Moment verstreichen. Auch wenn sie unbedingt wissen wollte, was geschehen war, würde sie Rebecca auf keinen Fall drängen.
»Miriam hat Lolle auf die Schulter geklopft und gemeint, dass sie sich für die richtige Freundin entschieden hat«, fuhr Rebecca nach einer Weile fort. »Und Lolle hat nur blöd gegrinst, und als ich weglaufen wollte, hat sie mich festgehalten. Ich konnte nicht weg. Sie standen alle um mich rum.« Rebecca sprach immer langsamer und Senta merkte, wie schwer es ihr fiel, über die Geschehnisse zu reden.
»Die vier haben mich dann gezwungen, meine Brille abzusetzen. Und dann haben sie mich vor sich hergeschubst, immer tiefer in den Wald. Ich hab versucht, mir zu merken, wo wir langgehen, aber ohne Brille bin ich echt blind. Ich hab nur eine grünblaubraune Masse gesehen. Alles war verschwommen. Total furchtbar! Und als ich um Hilfe schreien wollte, hat Kim mir ihre Hände so fest auf den Mund gedrückt, dass ich fast keine Luft mehr bekommen hab.«
Senta spürte, wie ihre Hand am Telefon zitterte. Unglaublich, wozu diese Clique fähig war.
»Irgendwann haben sie mich dann gezwungen, meine Schuhe auszuziehen, und Rita hat mir eine Plastikflasche unter die Nase gehalten. Da war Schnaps drin oder so was! Ich hab meinen Mund zugepresst und versucht, mich zu wehren… aber dann haben sie mich geschlagen. Und mir das Zeug nicht nur in den Mund, sondern auch über den Kopf geschüttet.« Senta konnte hören, wie Rebecca leise schniefte.
»Sie haben mich noch ein bisschen geschlagen… und getreten. Na ja, irgendwann hab ich nicht mehr so viel mitbekommen. Und da haben sie sich dann aus dem Staub gemacht, glaub ich.« Rebecca schluchzte jetzt am anderen Ende der Leitung.
»Wie schrecklich«, sagte Senta mitfühlend. Wie gerne hätte sie Rebecca jetzt in den Arm genommen.
»Es war purer Zufall, dass ich noch im Hellen aus dem Wald gekommen bin. Ein Ehepaar hat mich entdeckt. Die haben Pilze gesucht und waren deshalb abseits von den Wegen unterwegs.«
»Gott sei Dank!«, rief Senta. »Haben Sie dich ins Krankenhaus gebracht?«
»Nein. Ich war ja nicht wirklich verletzt. Die haben mich zurück zur Jugendherberge gebracht. Du kannst dir sicher vorstellen, was es für ein Donnerwetter gegeben hat, als ich da nach Schnaps stinkend, völlig verdreckt und verheult angekommen bin. Lolle hatte den Lehrern schon erzählt, dass ich in meinem Schrank Schnaps bunkern würde. Und dann hat sie auch noch meine Brille rumgezeigt und behauptet, ich hätte mich auf der Wanderung so volllaufen lassen, dass ich mir die Brille runtergerissen und damit nach ihr geworfen hätte.
»Wie bitte?«, Senta glaubte, sich verhört zu haben.
»Angeblich wär ich dann wie eine Irre in den Wald hineingestürmt, und als sie mich festhalten wollte, hätte ich sie geschlagen.«
»Was für eine miese Schlange«, Senta konnte nicht länger an sich halten. »Du hast denen doch hoffentlich erzählt, was wirklich passiert ist?«
Sie hörte, wie Rebecca aufgeregt nach Luft schnappte. »Das hätte doch nichts gebracht. Als ob mir jemand geglaubt hätte. In meinem Zustand? Außerdem waren sie ja zu viert. Lolle, Kim und Rita hätten Miriams Geschichte doch sofort bestätigt.«
Senta schwieg. Auch wenn es unglaublich klang, lag Rebecca mit ihrer Vermutung wahrscheinlich richtig.
»Jedenfalls haben sie mich umgehend nach Hause geschickt und angekündigt, dass ich von der Schule fliege. Und nur weil meine Mutter zwei Monate vorher an Krebs gestorben ist, habe ich keinen Schulverweis bekommen«, endete Rebecca ihre Leidensgeschichte.
Senta war wie betäubt. Nicht nur das furchtbare Verhalten der Clique bestürzte sie. Sie hatte auch keine Ahnung gehabt, dass Rebeccas Mutter nicht mehr lebte. Irgendwie war ihr bislang gar nicht der Gedanke gekommen, dass Rebecca
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