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Perlentöchter

Perlentöchter

Titel: Perlentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Corry
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Erbmerkmal, an dem, wie das Dienstmädchen Rose anvertraute, bereits die Mutter ihrer Mutter gelitten habe. Abends, wenn Rose ihr Gebet sprach, bat sie Gott, sie vor dieser Malaise zu verschonen, da sie sich nichts Schlimmeres vorstellen konnte, als nicht reden zu können.
    Sie trug damals, wie Rose ihrer größtenteils nach dem Gin Rummy angesäuselten Borneo-Zuhörerschaft erzählte, ein weißes Kleid mit einem Rüschenkragen. Letzterer war fast so unbequem wie der Stuhl, aber Ga Ga bestand darauf. »Wer?«, fragte jemand, und Rose erklärte, dass dies ihr Spitzname für ihren Großvater war. Offenbar hoben die weißen Rüschen ihren Teint hervor, was sehr wichtig war für das Porträtmalen.
    »Was für eine Art von Porträts?«, würde dann unweigerlich hinter dem Gin gekichert, und Rose würde die Frage ignorieren, da sie es vorzog, diese kostbaren Erinnerungen nicht mit einem Publikum zu teilen, das nur an seinem eigenen Vergnügen interessiert war.
    Solange Rose zurückdenken konnte, hatte sie gewusst, dass ihr Großvater etwas Besonderes war. Selbst ihr Vater, ein Arzt, der mehr und mehr Zeit in seiner Praxis oder mit Hausbesuchen verbrachte, sprach von seinem Schwiegervater in demselben Ton, den er sich gewöhnlich für besondere Patienten oder den Pfarrer aufhob. »Er ist ein Porträtmaler, Rose«, sagte ihr Vater immer. »Und er hat einen berühmten Mäzen. Sir William Giles.«
    Gelegentlich sah Rose diesen geheimnisvollen Mä-zehn, den sie mit einer Pause zwischen den Silben aussprach wie eine Art Silbenrätsel, weil das besser klang. Er tauchte immer unangemeldet auf, oder zumindest hatte es den Anschein, denn wenn das Hausmädchen seinen Besuch ankündigte, wurde Ga Ga ungewohnt nervös und benutzte Worte, die sie außer im Atelier nie zuvor gehört hatte, während er erklärte, dass bei Gott auch die Großen eine gewisse Verpflichtung hatten, ihren königlichen Besuch rechtzeitig vorher bekannt zu geben. Und dann wurde Rose, wenn sie zufällig gerade Modell saß, zu ihrer großen Enttäuschung hinauskomplimentiert und nach oben gebracht oder, schlimmer noch, gleich um die Ecke nach Hause. Manchmal gelang es ihr jedoch, durch das Treppengeländer nach unten zu spähen oder ein bisschen herumzutrödeln, um die Ankunft der Kutsche zu beobachten und einen kurzen Blick auf einen schwarzen Umhang und einen Hut zu erhaschen.
    An diesem speziellen Tag jedoch, in Roses frühester Erinnerung, stand kein solcher Besuch bevor. Jedenfalls nicht, soweit sie wusste, obwohl man bei ihrem Großvater nie wissen konnte. Später bezeichnete sie ihn als den aufregendsten, unberechenbarsten Menschen, der ihr je begegnet war, auch wenn sie damals die Bedeutung des Wortes »unberechenbar« nicht kannte, geschweige denn wusste, wie man es buchstabierte. Stattdessen saß sie wie immer auf diesem unbequemen Holzstuhl und versuchte, sich auf die Wand zu konzentrieren. Dabei fragte sie sich ständig, wie das Porträt wohl aussehen würde, wenn es fertig war und sie es endlich zu Gesicht bekäme.
    »Nicht bewegen, Kind. Sitz still.« Ga Ga blickte sie hinter der Staffelei stirnrunzelnd an. Es war kein ärgerliches Stirnrunzeln wie bei Papa, wenn er nach Hause kam und feststellte, dass Mama immer noch nicht redete, obwohl man hätte annehmen können, dass er sich mittlerweile daran gewöhnt hatte. Es war auch nicht das Stirnrunzeln, das ihre Gouvernante trug, wenn Lydia im Unterricht dazwischenplapperte. Es war vielmehr ein freundliches Stirnrunzeln, das sagte: »Ich weiß, das hier ist ein wenig langweilig für dich. Aber wenn du noch ein bisschen länger durchhältst, wartet im Garten gleich ein Glas Limonade auf dich.«
    »Konzentriere dich auf die Wand vor dir«, fuhr Ga Ga mit einer Singsangstimme fort. Manchmal redete er beim Malen, als würde er singen. Gelegentlich pfiff er wie die Amsel draußen. Und hin und wieder summte er ganz leise vor sich hin, als wäre er alleine im Raum. »Was siehst du?«
    Das war leicht! Ein Schiff. Sie sah ein Schiff. Es neigte sich nach vorne, als würde es die Treppe hinabstürzen, wovor das Hausmädchen sie immer warnte, wenn sie es eilig hatte. Es war ein hohes, schlankes Schiff, das über dem Rand der Welt schwebte, kurz davor, die andere Seite des im Schulzimmer aufgestellten Globus zu erkunden. Dieser Globus mit seinen wundervollen Farben und der schlauen Art, sich um seine hölzerne Achse zu drehen, sodass Rose immer am liebsten eingetaucht und zu was auch immer auf der anderen Seite

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