Pfad der Schatten reiter4
Karigan erinnerte sich, dass Mebstone ihr nach ihrem Gespräch über den Schwarzschleierwald gesagt hatte, sie könne jederzeit mit etwaigen Fragen zu ihr kommen. Karigan wusste, dass der Hauptmann ihren Reitern gefährliche Aufgaben nicht leichten Herzens übertrug und alles tat, was in ihrer Macht stand, um sie zu unterstützen. Karigan hatte genug Zeit in der Burg und beim Militär verbracht, um zu wissen, dass nicht alle Offiziere so handelten – manche vermieden jeden Kontakt zu ihren Untergebenen und setzten sie bedenkenlos Gefahren aus, als wären sie keine Menschen, sondern Schachfiguren. Dieses Wissen vergrößerte den Respekt, den Karigan für ihren Hauptmann hegte.
»Ich habe das hier erhalten.« Sie gab die Einladung dem Hauptmann, die sie bestürzt betrachtete. Warum sie deshalb bestürzt sein sollte, konnte Karigan nicht erraten, aber vielleicht bedeutete es, dass sie dem Maskenball nicht beiwohnen musste.
»Ich habe gehört, dass sie einen Maskenball planen«, murmelte Hauptmann Mebstone. Sie musterte das Kuvert mit Karigans Namen.
»Ich habe mich gefragt, ob ich wirklich hingehen muss.«
»Muss? Ich glaube nicht, aber du musst an deinen Rang denken, und daran, was er bedeutet.«
»Mein Rang?«
»Ja. Du bist jetzt ein Ritter des Reiches. Der einzige Ritter des Reiches. Sieh nur, dies ist nicht lediglich an Karigan G’ladheon adressiert, und nicht einmal an die Reiterin G’ladheon, sondern an Reiterin Sir Karigan G’ladheon. Dein Rang, dein Status sind nun bedeutender als früher, und deine Abwesenheit würde denjenigen, die auf solche Dinge achten, auffallen – sowohl den Freunden als auch den Feinden des Königs. Bedenke, dass die höchsten Offiziere und Vasallen des
Königs seine Macht und Autorität symbolisieren. Und wenn eins dieser Symbole fehlt? Manche könnten eine solche Abwesenheit als Schwächung der Autorität des Königs interpretieren, oder als mangelnde Unterstützung seines Verbündeten. Versteht du, was ich damit sagen will?«
Leider verstand Karigan sie allzu gut.
»Wenn du deinen König unterstützen willst, dann wäre es sehr empfehlenswert, dass du zumindest kurz auf dem Ball erscheinst.« Der Hauptmann runzelte die Stirn und spähte durch ihr Schießschartenfenster. »Ich hätte wissen sollen, dass es dazu kommen würde, dass du in die Angelegenheiten des Hofes hineingezogen werden würdest.« Als sie ihren Blick wieder Karigan zuwandte, sah sie keineswegs glücklicher aus. »Ich nehme an, dies ist nicht die letzte derartige Einladung, die du bekommen wirst. Wenn du beschließt, auf den Ball zu gehen, musst du einen klaren Kopf behalten. Du bist jetzt mehr als eine einfache Reiterin, denn dein Rang ist dem König wichtig. Alles, was du sagst oder tust, fällt nicht nur auf den König zurück, sondern wird von den Höflingen erörtert und oft falsch gedeutet. Du kannst nie wissen, ob irgendetwas, das du jetzt sagst, nach Jahren plötzlich wieder auftaucht und dir Schwierigkeiten bereitet. Alle falschen Worte oder Taten können gegen dich verwendet werden und sogar dazu dienen, die Autorität des Königs zu untergraben und große Schäden anzurichten.
Du verdienst die Ehre, die dir König Zacharias zuteil hat werden lassen, aber ich frage mich, ob er sich die Konsequenzen überlegt hat …« Sie gab Karigan die Einladung mit einem Kopfschütteln zurück. »Ich fürchte, dass du durch deinen Ritterstand die äußerst dornige Welt des Könighofs betreten hast.«
Die Worte und der grimmige Gesichtsausdruck des Hauptmanns waren keineswegs beruhigend. Karigans Angst vergrößerte sich erheblich.
Als ob diese Worte nicht genügt hätten, fügte der Hauptmann noch hinzu: »Du bist in einer ungewöhnlichen Position, Karigan. Ich weiß, dass du dich mit Weisheit entscheiden und dann danach handeln wirst.«
Karigan steckte die Einladung in die Tasche ihres Kurzmantels und wünschte sich, dass der Hauptmann ihr irgendetwas Aufmunterndes sagen würde, aber sie saß nur hinter ihrem Tisch und wirkte immer noch verstört.
Jemand klopfte an die Tür.
»Herein«, rief Hauptmann Mebstone.
Die Tür öffnete sich, und ein großer, schlaksiger, in Wildleder gekleideter Mann trat ins Zimmer. Es war ein Reiter, den man selten sah, und Karigan hätte ihn fast nicht erkannt.
Hauptmann Mebstone stand auf und eilte um ihren Tisch herum, um seine Hand zu ergreifen. »Lynx! Willkommen zurück.«
Nicht alle Reiter waren ständig damit beschäftigt, Botschaften zu überbringen.
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