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Pfefferkuchenhaus - Kriminalroman

Pfefferkuchenhaus - Kriminalroman

Titel: Pfefferkuchenhaus - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carin Gerhardsen
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anderen Menschen wie einen Schatz durchs Leben tragen: sonnige Kindheitserinnerungen, in die man sich zurückträumen oder auf die man im Gespräch mit anderen Menschen zurückgreifen kann. Zugegebenermaßen habe ich keine Menschen, mit denen ich reden könnte, und habe sie auch nie gehabt. Auch glückliche Kindheitserinnerungen besitze ich nicht. Kein einziges Licht in der lebenslangen Dunkelheit. Wenn man sechs Jahre alt ist, ist ein Zeitraum von sechs Jahren lebenslänglich. Genauso lebenslänglich wie ein Zeitraum von vierundvierzig Jahren, wenn man vierundvierzig ist.
    Ich kann es mit Worten beschreiben. Ich kann den Gedanken formulieren, dass diese Kinder mir alles genommen haben, aber ich kann nichts dagegen tun. Ich habe es einfach geschehen lassen, habe es den Rest meines Lebens überschatten lassen und bin zu einem Opfer des Bösen im Menschen geworden. Ich habe mich als Opfer gesehen und mein Leben wie das eines Opfers gelebt. Still, ängstlich und einsam. Doch das hat jetzt ein Ende. Wie ein glücklicherer Mensch fühle ich mich nicht. Es ist eher dieses genüssliche Suhlen im eigenen Unglück, das dafür sorgt, dass ich mich so aufgeräumt fühle.

    Ich hatte mich noch nicht entschieden, was ich tun würde, als ich ins Licht der Küchenlampe trat. Ich hatte nicht vor, ihm Leid zuzufügen. Alles, was ich wollte, war Verständnis – ein Eingeständnis der Schuld und eine Entschuldigung. Und da stand er, gut aussehend, wohlhabend und geliebt, mit einem etwas verwunderten, aber freundlichen Lächeln auf den Lippen.
    »Oh, entschuldigen Sie«, sagte er, »aber ich habe mehrmals geklingelt und Zweige an das Fenster geworfen. Ich dachte, dass Sie möglicherweise nicht so gut hören, und nachdem wir nun einmal zu dieser Zeit verabredet waren …«
    »Keine Ursache«, unterbrach ich ihn und nutzte die moralische Überlegenheit, die er mir durch seinen kleinen Fehltritt verschafft hatte, indem ich einen trockenen, leicht herablassenden Ton anschlug.
    Trotz seiner entschuldigenden Haltung und der für ihn peinlichen Situation stand er mit erhobenem Kopf und anscheinend unerschütterlichem Selbstvertrauen vor mir. Sein einnehmendes Lächeln und das schelmische Funkeln in seinen Augen verliehen ihm eine souveräne Ausstrahlung. Wahrscheinlich konnte man eine solche Person nicht unsympathisch finden. Aber es war durchaus möglich, sie zu hassen.
    Es reichte, sich in der Fantasie um siebenunddreißig Jahre zurückzuversetzen und an das kleine Kind zu denken, das bäuchlings auf dem Asphalt lag, mit seinem zerkratzten, schmerzenden Gesicht in einer schmutzigen Pfütze. Arme und Beine gespreizt wie bei einem Gekreuzigten, festgehalten von anderen kleinen Kindern, die, mal lachend, mal mit verbissener Miene kämpfend, die Befehle ausführten, die du ihnen erteilt hattest. In deiner unangefochtenen Position als ihr ungekrönter König. Rittlings hast du auf dem Rücken des schluchzenden Jungen gesessen wie auf einem Pferd, mit den Beinen auf beiden Seiten des Körpers, und ihm johlend mit einer stumpfen Kinderschere Haarsträhne um Haarsträhne vom Kopf geschnitten. Blut und Tränen – nichts konnte dir deinen unverhohlenen Genuss verderben.
    Es ist nicht schwer, eine Person zu hassen, die es im Laufe von ein paar lächerlichen Jahren geschafft hat, das Leben eines Menschen zu zerstören – mein Leben. Es war leicht, dich zu hassen, als du da so standest. Nur kurz die Arbeit erledigen und dann schnell wieder zurückkehren zu deiner schönen Frau und deinen Kindern. Gott möge verhüten, dass sie jemals die Schrecken ertragen müssen, die du mir täglich zugefügt hast. Das Schicksal wollte es, dass das Böse, dass du, Hans, zu einem glücklichen und geliebten Menschen heranwachsen solltest, während ich, das Opfer des Bösen, zu einer kleinen Milbe wurde, die im Dreck herumkrabbelt, ohne dass irgendjemand sie bemerkt. Und die nichts hervorbringen sollte außer schwarzem, vernichtendem Hass.

    Er streckte mir die Hand entgegen, und ich nahm sie, ohne meinen Widerwillen zu offenbaren.
    »Tja, vielleicht zuerst eine kleine Besichtigungstour?«, sagte er freundlich, aber nicht unbestimmt.
    »Nein, ich hatte mir vorgestellt, dass wir uns zuerst setzen und ein bisschen miteinander reden«, antwortete ich und deutete mit der Hand auf einen der Stühle am Küchentisch.
    Ich hatte nicht vor, mich selbst dazuzusetzen, aber er nahm folgsam auf der Stuhlkante Platz und schlug die Beine übereinander, während er die Hände vor sich

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