Pfefferkuchenhaus - Kriminalroman
knapp wurde. Er war charmant, er konnte jeden rumkriegen. Ein richtiger Mädchenschwarm war er.«
»Du bist nach Malmö gezogen, als Hans aufs Gymnasium wechselte?«
»Wir. Wir sind oft umgezogen, und Hans war es wohl irgendwann leid, also hat er beschlossen dazubleiben.«
»An welchen Orten habt ihr noch gewohnt?«
»Also das waren ganz schön viele. Norrköping, Kumla, Hallsberg, Kungsör, Örebro. Oxelösund.«
»Warum seid ihr so oft umgezogen?«
»Männer. Jobs.«
»Über welche Art von Jobs reden wir hier?«, hakte Sjöberg nach, obwohl er in seinem tiefsten Inneren lieber gewusst hätte, von welcher Art Männern hier die Rede war.
»Tagsüber habe ich Haare geschnitten«, antwortete sie ausweichend.
»Und abends?«
»Da kam es schon mal vor, dass ich in Klubs getanzt habe …«
Sjöberg wartete ab.
»Also, Striptease. Aber ich werde nichts darüber erzählen, was das für Klubs waren.«
»Nein, das ist auch nicht nötig. Du hast also tagsüber als Friseurin und abends als Stripperin gearbeitet. Da war es bestimmt nicht leicht, sich auch noch um ein Kind zu kümmern?«
»Nein, ich war keine gute Mutter, aber trotzdem ist aus Hans etwas geworden.«
»Hat Hans nie einen Vater gehabt?«
»Nein, ich weiß auch nicht, wer es war.«
»Du musst sehr jung gewesen sein …«
»Achtzehn«, unterbrach sie ihn. »Es war nicht so, dass ich unbedingt schwanger werden wollte. Aber ich bin immer lieb zu Hans gewesen«, fügte sie mit Überzeugung in der Stimme hinzu. »Das verstehst du doch, ansonsten hätte er sich ja auch nicht so um mich gekümmert.«
Mit dem Handrücken wischte sie sich eine Träne aus den Augen. Sjöberg seufzte und dachte einen Augenblick lang über all die erstaunlichen Menschenschicksale nach, die ihm in seinem Beruf schon begegnet waren. Der Gedanke führte ihn zu seinen eigenen Zwillingssöhnen, und er fragte sich, wie ihr Leben heute aussehen würde, wenn er vor anderthalb Jahren anders gehandelt hätte. Eine Drogensüchtige war schwer misshandelt und mit Stichverletzungen in einem Park gefunden worden. Er trug die Verantwortung für die Ermittlungen, und als er sie nach einigen Tagen im Krankenhaus besuchen wollte, war sie zu seiner Verwunderung und nicht zuletzt zu ihrer eigenen und der des Krankenhauspersonals in den Kreißsaal verlegt worden. Dort hatte sie wundersamerweise wenige Stunden später nicht nur einen, sondern zwei gesunde, wenn auch kleine Jungen zur Welt gebracht. Sie hatte noch einige Wochen im Krankenhaus gelegen, und in dieser Zeit hatte er sie und ihre Söhne ab und zu besucht. Die Zwillinge lagen im Brutkasten. Nach drei Monaten lagen sie immer noch dort, und sie war aus dem Krankenhaus abgehauen. Er hatte die beiden Winzlinge ins Herz geschlossen und besuchte sie weiter auch nach dem Verschwinden der Mutter. Irgendwann musste sie eine Überdosis Heroin genommen haben und war tot auf einer öffentlichen Toilette gefunden worden. Da hatte er Åsa mit ins Krankenhaus genommen. Obwohl sie bereits drei Kinder hatten und damit vollkommen zufrieden waren, hatte keiner von ihnen gezögert. Ein halbes Jahr später war die Adoption perfekt, aber da waren die Kinder schon lange ihre »eigenen« geworden.
»Du weißt nicht, ob Hans möglicherweise in schlechte Gesellschaft geraten sein könnte, über dich beispielsweise? Entschuldige, dass ich so direkt frage, aber du verstehst bestimmt, was ich meine«, sagte Sjöberg.
»Nein, ich habe Hans nie in meine Kreise eingeführt. Nicht in letzter Zeit jedenfalls«, sagte sie verschämt.
»Wie war er als Kind?«
»Ach, er war ein richtiger Schlingel, aber er hatte viele Freunde. Er war wohl wie die meisten anderen Jungen auch, Prügeleien und Streiche, aber er hatte ein gutes Herz.«
Sjöberg beendete das Gespräch und rief in der Rechtsmedizin an. Kaj Zetterström, der die halbe Nacht und mittlerweile fast den ganzen Tag damit verbracht hatte, Hans Vannerberg zu obduzieren, klang müde, aber er war entgegenkommend und sagte, dass sie ruhig herüberkommen könnte. Sjöberg bestellte ein Taxi und ging anschließend mit Gun Vannerberg die Treppe hinunter, durch die Rezeption und hinaus auf den Wendehammer der Östgötagatan, wo der Wagen wartete.
Während der kurzen, bewegenden Begegnung mit dem toten Sohn hielt er seinen Arm um sie gelegt. Nachdem alle Papiere unterzeichnet waren, ließ er sie mit einem Anflug von schlechtem Gewissen einsam auf dem Bürgersteig zurück. Es war zwanzig nach drei und bereits dunkel. Die
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