Philadelphia Blues
Adrian ahnungsvoll und Colin gönnte sich ein gehässiges Grinsen, was scheinbar Antwort genug war. „Oh nein, das machst du nicht.“
„Wollen wir wetten?“
Colin machte kehrt, bevor Adrian darauf antworten konnte. Was zu viel war, war zu viel. Wie konnte sein Vater es wagen, Kilian auf so eine Art und Weise niederzumachen? Den eigenen Enkel? Er würde nach Irland fliegen und reinen Tisch machen, das war schon lange überfällig. Und danach würde er dafür sorgen, dass Kilian lebte, wie er leben wollte. Ob als Künstler oder nicht, er würde seinen Neffen unterstützen, wie Gwen es auch immer getan hatte. Der Junge brauchte keine Großeltern, die sich einen Dreck um ihn scherten, und Colin brauchte keinen Eltern, die ihn für eine verweichlichte Schwuchtel hielten. Kilian und er würden allein klarkommen. Basta.
„Du kannst nicht nach Irland fliegen“, erklärte Adrian hinter ihm ernst, während Colin das Gästezimmer ansteuerte, um ihre Sachen zu packen. „Colin, sei vernünftig.“
„Ich bringe Kilian zu Sally, Frank und Devin. Er mag die Drei und ich weiß, dass sie auf ihn aufpassen werden.“
„Das würden Trey und ich auch, darum geht es nicht“, warf Adrian ein, was Colin schnauben ließ. „Colin...“
„Nein!“ Colin schüttelte den Kopf und zerrte Kilians Reisetasche aus dem Schrank. „Ich hätte ihm schon damals eine reinhauen sollen und das weißt du auch. Es wird Zeit, dass ich das nachhole.“
Damals war er einfach abgehauen, weil es ihm die Sache nicht wert gewesen war. Aber Kilian war es wert. Kilian war jeden Kampf wert und Colin hatte vor, einen zu führen. Ob mit Worten oder mit den Fäusten hing dabei ganz von seinem Vater ab. Und danach würde er sich umdrehen und gehen und diese Menschen für immer aus Kilians und seinem Leben streichen.
„Und was bringt dir das? Abgesehen von einer Menge Befriedigung und blutigen Handknöcheln?“
„Die Befriedigung reicht mir völlig aus“, zischte Colin und holte Kilians Sachen aus dem Schrank. Dabei fiel etwas Schweres polternd zu Boden, das zwischen den Pullovern gelegen hatte und Colin hielt verblüfft inne, als er es erkannte. „Mein Gott...“
„Was ist das?“ Adrian trat näher und hob das rote Kästchen auf. „Eine Schmuckschatulle?“, fragte der Anwalt verwundert, was Colin lächeln ließ, denn genau deshalb hatte er Gwen die Spieluhr damals geschenkt. Auf den ersten Blick war sie nämlich nicht als solche zu erkennen und Gwen war begeistert davon gewesen. Vor allem von dem Dorf im Schnee, das im Inneren bis ins Detail dargestellt war.
„Nein“, antwortete er schließlich und Adrian sah ihn fragend an. „Mach' sie auf.“ Adrian tat es und sofort erklang die Melodie von Frank Sinatras 'Let it snow', passend zum verschneiten Dorf. Gwen hatte den Kerl geliebt, im Fernsehen und auch singend. „Ich habe sie Gwen geschenkt. Zu ihrem zehnten Geburtstag.“ Adrian hielt ihm die Spieluhr hin und Colin nahm sie. „Sie liebte diesen Typen und ich habe sie deswegen immer aufgezogen. Dann hat sie im Laden die Spieluhr gesehen und...“ Colin stockte kurz. „Ich wollte nicht, dass unsere Eltern sie ihr schenken, also habe ich sie zurücklegen lassen und monatelang einen Teil von meinem Taschengeld gesammelt, damit ich ihr die Spieluhr schenken kann. Du hättest Gwens Gesicht sehen sollen, als sie sie ausgepackt hat. Kilian muss sie genommen haben, nachdem...“
Colin blinzelte, weil er auf einmal nichts mehr sehen konnte und als ihm klar wurde, was mit ihm los war, legte er Kilians Sachen in den Schrank zurück und ließ sich mit der Spieluhr in der Hand auf die Bettkante sinken, um sich das Lied erneut anzuhören. Gwen hatte diesen Song rauf und runter gehört, und am Ende hatte es ihn schon genervt, doch sie war so glücklich gewesen, dass Colin nie etwas gesagt hatte. Aber irgendwann hatte Gwen aufgehört, das Lied zu hören und er war weggegangen. In die USA, um den amerikanischen Traum zu leben. Zurückgekommen war er knapp zwei Jahre später, und auch das nur, weil Gwen mit siebzehn völlig überraschend für ihn und alle anderen Mutter geworden war.
Er hätte seine kleine Schwester damals mitnehmen sollen, dachte Colin und machte die Spieluhr zu, weil das Lied ihm plötzlich eine Welle von Übelkeit bescherte. Wie oft hatte er sich diesen Vorwurf eigentlich schon gemacht? Hundert Mal. Tausend. Zehntausend? Dabei wusste er, dass der Gedanke Blödsinn war. Gwen war ein Teenager gewesen, als er es Zuhause nicht mehr
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