Philosophenportal
des Buches lesen.
Gerade der letztgenannte Essay erfüllt das Bedürfnis vieler Leser nach einer »philosophischen Religion«: Da unsere individuelle
Existenz ohnehin nur eine von Schuld und Egoismus geprägte Erscheinungsform des Willens ist, sollte der Tod als eine Reinigung
begriffen werden, eine Gelegenheit, sich vom Schein des Ichs zu befreien. »Das |133| Sterben«, so Schopenhauer, »ist der Augenblick jener Befreiung von der Einseitigkeit einer Individualität, welche nicht den
innersten Kern unseres Wesens ausmacht.« Dieser Kern ist unsterblich.
Mit dem Erscheinen seiner so genannten »Nebenschriften«, der
Parerga und Paralipomena
1851, die auch die berühmten
Aphorismen zur Lebensweisheit
enthalten, fand Schopenhauers Werk endlich stärkere Beachtung. Der alte Schopenhauer konnte schließlich den Ruhm genießen,
den der Geniewurf des jungen Mannes eigentlich schon verdient gehabt hätte. Dass man ihn nun den »Buddha von Frankfurt« nannte,
mag er sogar als nicht sachunkundiges Kompliment betrachtet haben. Denn er war es schließlich, der mit seiner
Welt als Wille und Vorstellung
als erster bedeutender europäischer Philosoph der indischen Philosophie Eingang ins westliche Denken verschafft hatte.
Für Friedrich Nietzsche wurde Schopenhauers Werk sogar zu einer Art philosophischem Erweckungserlebnis. Auch die Lebensphilosophie
um den französischen Philosophen Henri Bergson ist ohne Schopenhauer nicht denkbar. Auffällige Parallelen gibt es auch zwischen
Schopenhauer und der Psychoanalyse Sigmund Freuds. Dazu gehört die Erkenntnis, wie trügerisch unser Glaube an die Kraft der
Vernunft ist und wie sehr die eigentlichen Antriebskräfte unseres Lebens und Handelns in den leiblichen Trieben zu finden
sind. Aber auch die bei Freud so herausgestellte Rolle der Sexualität findet sich schon bei Schopenhauer: als eine vornehmliche
Äußerung des Willens zum Leben.
Breite Wirkung erzielte Schopenhauer bei Künstlern, nicht nur bei Schriftstellern wie Thomas Mann, sondern auch bei Musikern
wie Richard Wagner oder Malern wie Max Beckmann. Nicht verwunderlich ist, dass im 20. Jahrhundert, einem Jahrhundert der totalitären Barbarei und politischer Katastrophen, Schopenhauers Pessimismus eine besondere
Aktualität gewonnen hat.
Bis heute sind es in der Regel nicht die Akademiker und Berufsphilosophen, die von Schopenhauer angesprochen werden, sondern
Liebhaber der Philosophie, die mehr suchen als eine Vorlage für kluge Dissertationen. Wie kaum ein anderes philosophisches
Buch |134| der letzten zweihundert Jahre hat die
Welt als Wille und Vorstellung
die Erfahrungen und das Lebensgefühl vieler Menschen erreicht und dem Bedürfnis nach Weisheit und philosophischer Lebenshilfe
Rechnung getragen. Schopenhauers These, dass die Welt ein Tal des Jammers ist und der bösartige Charakter des Menschen sich
unverändert zeigt, wird zumindest als ein Stachel im Fleisch der Philosophie erhalten bleiben.
Ausgabe:
ARTHUR SCHOPENHAUER: Die Welt als Wille und Vorstellung. München: dtv 1998.
|135| Partitur der Lebensformen
SÖREN KIERKEGAARD: Entweder – Oder (1843)
Philosophische Bücher haben es – so liegt es in ihrer Natur – mit sehr grundsätzlichen Fragen zu tun, sie diskutieren oder
verbreiten Theorien und fordern vom Leser ein hohes Maß an Konzentration. Sie sind häufig, wie man umgangssprachlich sagt,
sehr »abstrakt«. Doch auch unter den klassischen Werken der Philosophie gibt es solche, die ein ganz anderes Gesicht zeigen.
Sie kommen im Gewand der Dichtung daher: Personen treten in ihnen auf, Geschichten und Gleichnisse werden erzählt oder sie
enthalten sogar Gedichte. Platons Dialogen werden zu Recht solche dichterischen Eigenschaften nachgesagt, aber auch die Bücher
Friedrich Nietzsches haben die Leser aus eben diesen Gründen immer wieder angezogen.
Solche Werke sind besonders verführerisch und gefährlich: Sie bieten sich als anscheinend leicht verständliche Lektüre an.
Doch dies ist in der Regel eine Falle, in die man nicht tappen sollte. Auch diese Werke haben es mit komplexen theoretischen
Fragen zu tun. Sie präsentieren sie lediglich in einer besonders raffinierten Verpackung.
Eines der wichtigsten und bekanntesten »dichterischen« Werke der Philosophiegeschichte ist
Entweder – Oder
, der berühmte Erstling des dänischen Theologen und Philosophen Sören Kierkegaard. Und in diesem Fall ist die Theorie ganz
besonders
Weitere Kostenlose Bücher