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Philosophenportal

Titel: Philosophenportal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Zimmer
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seinen eigenen Tagebüchern und Briefen
     übernommen hat. Vor allem mit der Figur des Johannes wollte er seine Absicht verwirklichen, Regine aus der Beziehung zu ihm
     herauszulösen und »herauszutäuschen«. Insofern ist Johnannes auch nicht mit Kierkegaard identisch: Er ist eine bewusst gestaltete
     Figur. Er ist der Verführer, den Kierkegaard präsentieren wollte, der er selbst aber nie war. Das
Tagebuch
erzählt die Geschichte einer perfekt inszenierten Beziehungsmanipulation, bei der der andere zum reinen Spielball und am Ende
     wie ein nutzlos gewordenes Instrument weggeworfen wird.
    |144| Im Gegensatz zu Don Juan will Johannes nicht nur in den Genuss der verführten Frau kommen, er genießt auch die planmäßig vorgehende
     Verführungsstrategie, die er wie ein Kunstwerk angelegt hat. Johannes trifft durch Zufall ein junges Mädchen, Cordelia, die
     er zunächst für die Liebe bereitmachen will, indem er für sie einen Verlobten besorgt. Gleichzeitig sorgt er aber auch dafür,
     dass sie sich in dieser konventionellen Beziehung nicht wohl fühlt und ein Bedürfnis nach »mehr« entwickelt, ohne genau zu
     wissen, worin dieses »Mehr« besteht. Nun bietet sich Johannes selbst als interessanten Kontrast an und gewinnt sie für sich.
     Als er schließlich mit ihr verlobt ist, bringt er sie so weit, dass auch sie die Form der Verlobung als Fessel empfindet und
     deren Auflösung wünscht, um die Liebe zu ihm zu retten. Er stimmt zu, bestellt sie an einen geheimen Ort, wo er mit ihr eine
     Nacht verbringt und sie am nächsten Tag verlässt.
    Weder Don Juan noch Johannes vermögen über das Interessante und den Genuss hinaus einen Sinn des Lebens zu erkennen. Ihre
     Weigerung, im Leben mehr als einen Zeitvertreib zu sehen und eine dauerhafte Identität zu entwickeln, bringt sie in ein verfehltes
     Verhältnis zur Zeit. Der Mensch ist nach Kierkegaard eben nicht nur sinnlich, sondern auch geistig bestimmt, das heißt, er
     nimmt im Gegensatz zu den Tieren die Zeit bewusst wahr, er erinnert sich und er projiziert in die Zukunft. Als Christ gibt
     Kierkegaard diesem Unterschied zwischen Mensch und Tier eine theologische Deutung: Der Geist ist für den Menschen das Mittel,
     ein Verhältnis zur Ewigkeit und zu Gott zu erlangen. Wenn er sein Menschsein verwirklichen will, muss er also auch in ein
     geistig bewusstes Verhältnis zur Zeit eintreten. Er muss sich sowohl in der Vergangenheit als auch in der Zukunft als identisch
     wiedererkennen können. Ein Leben nur für die Gegenwart reicht nicht aus: Vergangenheit und Zukunft müssen in den eigenen Lebensentwurf
     mit einbezogen werden. Obwohl der Verführer Johannes einen ersten Schritt in diese Richtung macht, indem er über die unmittelbare
     Gegenwart hinausgeht und einen zukünftigen Genuss plant, gewinnt auch er noch keine Identität, da er mit jedem Abenteuer eine
     neue Rolle spielt.
    Identität und ein bewusstes Verhältnis gegenüber der Zeit werden |145| erst in der ethischen Lebensanschauung erworben. Hier, im zweiten Teil des Buches, führt Kierkegaard eine neue Autorenfigur
     ein. Während uns A als junger Lebemann präsentiert wird, der einige Züge des jungen Kierkegaard trägt, kommt nun mit B ein
     älterer, typischer Vertreter des Establishments ins Spiel, dessen Ansichten denen des Autors Kierkegaard nahe stehen. Im Gegensatz
     zu A, der mit wechselnder Maske lebt, hat B einen Namen (Wilhelm) und einen Beruf (Gerichtsrat). Auch sein Stil kann sich
     mit dem in den brillanten literarischen Stücken des ersten Teils nicht messen. B schreibt trocken und sachlich. Der angekommene,
     lebenserfahrene B wendet sich an seinen jüngeren Freund A, um ihn von den Vorzügen eines Lebens zu überzeugen, das dem Genussleben
     und dem Egoismus die dauerhafte Bindung und die soziale Verpflichtung entgegensetzt. Das Modell für diese ethische Lebensform
     ist die Ehe.
    B will keinen absoluten Gegensatz zwischen ethischer und ästhetischer Lebensform gelten lassen. Die ethische Lebensform ist
     für ihn vielmehr eine Höher- und Weiterentwicklung der ästhetischen. Sie hat die positiven Seiten der ästhetischen Lebensanschauung
     in sich aufgenommen. Diese ist interessant und für ein erfülltes Leben sogar notwendig, aber man darf nicht bei ihr stehen
     bleiben. So ist die Ehe für ihn keine trockene Vernunft- oder Zweckehe, sondern eine auf Liebe beruhende Verbindung, in der
     die Erotik der romantischen Verliebtheit umgewandelt ist in ein Grundvertrauen, das

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