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Hauptfigur in Mozarts Oper
Don Giovanni
. Im Weiteren folgen Essays, die sich als »Ansprachen« oder »Rezensionen« tarnen, an die sich am Ende das fiktive
Tagebuch des Verführers
anschließt.
Die erheblich weniger umfangreichen Papiere von B bestehen demgegenüber aus drei nüchtern durchkonstruierten Abhandlungen,
die B an seinen Freund A adressiert hat. Sie nehmen auch teilweise die Form theologischer Lehrbriefe an, in denen Gebete enthalten
sind und auf Bibelstellen Bezug genommen wird.
Kierkegaards eigene Lebensexperimente werden vor allem im ersten Teil des Buches reflektiert. Viele der ästhetischen Rollen,
die in |142| den Papieren von A geschildert werden, hat Kierkegaard selbst in seinem Leben gespielt. Nicht zufällig liegen hier eindeutig
die literarischen Höhepunkte. So wie bei Dante und Milton die Schilderungen der Hölle sehr viel überzeugender wirken als die
des Himmels, so fällt Kierkegaards Präsentation des ästhetischen Lebens sehr viel lebendiger und anschaulicher aus als die
trockenen Abhandlungen über die Ehe im zweiten Teil. Hier werden seine Schilderungen farbig und konkret, und hier kann er
seine dichterische Brillanz demonstrieren.
Die ästhetisch beziehungsweise erotisch bestimmte Lebensanschauung ist schillernd, wechselnd, doch sie bewegt sich über einem
Abgrund der Schwermut und Verzweiflung, über dem der Ästhetiker wie ein Seiltänzer balanciert. Er ist ein ewiger Lebensexperimentator,
weil er im Grunde der Überzeugung ist, dass das Leben an sich keinen Sinn hat. Immer dann, wenn er einmal keine Rolle spielt
und sich besinnt, steht er diesem Abgrund unmittelbar gegenüber. Dann drängt sich ihm der Gedanke auf, seinem Leben ein Ende
zu setzen.
In den Kurzprosastücken, die unter dem Titel »Diapsalmata« zusammengefasst sind, gibt der Autor A seiner Schwermut und seinem
Lebensüberdruss unmittelbar Ausdruck: »Mein Leben ist völlig sinnlos«, heißt es dort, »wenn ich seine verschiedenen Epochen
betrachte, so geht es mit meinem Leben wie mit dem Worte ›Schnur‹ im Lexikon, das einmal einen Bindfaden bedeutet und zum
anderen eine Schwiegertochter.« Der Ästhetiker ist ein Mensch, der immer wieder neue Masken trägt, aber kein eigenes Gesicht,
keine Identität hat. Der Ästhetiker verwirklicht kein Selbst, er ist je nach Situation immer ein anderer.
Das menschliche Gegenüber, der Partner, ist für den Ästhetiker lediglich Objekt. Ebenso wenig wie er selbst eine Identität,
ein Selbst, entwickelt, erkennt er es auch bei dem anderen an. Das Leben ist für den Ästhetiker eine Bühne, auf der das Spiel
Selbstzweck ist. Deshalb fühlt er sich auch nicht zur Einhaltung moralischer Regeln verpflichtet. Er hat sich auf den Ernst
des Lebens noch gar nicht eingelassen. Sein Leben befindet sich in einer permanenten Erprobungsphase.
|143| Es gibt jedoch verschiedene Äußerungsformen der ästhetischen Lebensanschauung. Der Ästhetiker kann wie eine Biene von Blüte
zu Blüte fliegen, immer den unmittelbaren sinnlichen Genuss suchen und in diesem sein Genüge finden. Er kann aber auch einen
verfeinerten, raffinierten Genuss suchen, der auf einer strategischen Planung beruht. Dabei wird der mögliche Augenblicksgenuss
bewusst hinausgezögert zugunsten eines besseren finalen Genusses. Dies führt schließlich dazu, den Weg zum Ziel zu machen
und die Art des Genusserwerbs selbst zu genießen, ähnlich wie der Kenner ein Kunstwerk nicht wegen des Inhalts, sondern wegen
der Art der Präsentation schätzt.
In den Papieren von A treten zwei exemplarische Figuren der ästhetischen Lebensanschauung hervor: Don Juan, die Hauptfigur
in Mozarts Oper
Don Giovanni,
steht im Mittelpunkt des Essays »Die unmittelbaren erotischen Stadien oder das Musikalisch-Erotische«. Johannes wiederum ist
der Protagonist des
Tagebuchs des Verführers
. Beide sind Meister der Erotik, der eine durch seine Natur, der andere durch seine Strategie.
Don Juan ist eine Figur, die vom Medium der Musik geprägt wird und wie diese eine unmittelbar sinnliche Wirkung ausübt. Planung
und Strategie sind ihm fremd: Für Kierkegaard ist er wie eine Naturmacht: Der Genuss fällt ihm zu, und er lebt nur für den
Augenblick.
Im
Tagebuch des Verführers
dagegen stellt Kierkegaard den reflektierten und planenden Ästhetiker vor. Nirgendwo hat er deutlicher seine Beziehung zu
Regine literarisch verarbeitet. So finden sich hier ganze Passagen, die er wörtlich aus
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